Schlagwort-Archive: Mensch und Tier

Altenpflege, gute Laune und Leckerlis

Nun ist es schon März und ich sehe, dass ich seit Dezember kein Update für den Blog mehr geschrieben habe. Das hat einen ganz einfachen Grund: Mir fehlt die Zeit.

Meine alte Hündin Peppi ist inzwischen 14 Jahre alt geworden. Das ist ein wunderbares Geschenk. Ich habe viel Ahnenforschung betrieben und versucht, einiges über Peppis Verwandtschaft herauszubekommen. Leider sind sehr viele ihrer Verwandten nicht besonders alt geworden. Krebs, Herzprobleme und Epilepsie haben sie teilweise schon in recht jungen Jahren dahingerafft. Kaum ein Hund ist älter als 12 Jahre geworden.

Von Epilepsie sind Peppi und ihre Wurfgeschwister zum Glück verschont geblieben, in der Hinsicht war die Kombination ihrer Eltern eine gute Wahl. Aber das Herz und der Krebs sind auch bei ihnen eine ständige Bedrohung. Ihre Mutter starb mit 12 Jahren, ihr Vater wurde nicht ganz so alt, zwei ihrer Wurfgeschwister starben mit 11 Jahren, ihr Großvater mit 9 Jahren … und immer entweder das Herz oder der Krebs. Ich hatte daher nie zu hoffen gewagt, dass Peppi mehr als 12 Jahre schafft. Und jetzt ist sie 14.

Es waren allerdings keine 14 Jahre ohne Krankheiten. Wir haben schon ein paar lebensbedrohliche Situationen hinter uns, aber Peppi hat sich immer wieder durchgebissen und es geschafft, sich wieder aufzurappeln.

Inzwischen komme ich mir aber schon vor wie eine Altenpflegerin in Vollzeit. Mein Hund bekommt so viele Medikamente und Futterzusätze, dass ich schon überlegt habe, von drei auf vier Mahlzeiten aufzustocken, nur um die ganzen Mittelchen unterbringen zu können. Von den Kosten, die dafür monatlich anfallen, reden wir mal nicht.

Herz, Lunge, Nieren und Bauchspeicheldrüse arbeiten ohne Unterstützung nicht mehr ausreichend mit. Die Milz ist vergrößert, die Leber angegriffen … das gesamte System lässt langsam nach.

Stubenreinheit ist nicht mehr wirklich vorhanden, und beim Trinken wird der halbe Inhalt des Wassernapfes im Raum verteilt. Und wegen der Entwässerungstabletten trinkt Peppi andauernd. Es ist schon fast ein Vollzeitjob, hinter ihr her zu putzen.

Da ihr immer die Beine wegrutschen, wenn sie aus Näpfen frisst oder trinkt, die auf dem Boden stehen, haben wir die Wassernäpfe erhöht aufgestellt. Den Futternapf halte ich fest, während sie frisst. Das ist etwas zeitaufwändig, aber so kann ich zumindest direkt sehen, ob sie mit Appetit frisst, oder ob sie irgendwelche Probleme hat. Futterverweigerung ist bei ihr das Alarmzeichen Nummer eins.

Wegen ihrer Blindheit und Taubheit müssen wir immer aufpassen, dass nichts im Weg steht. Vor allem auf dem Spaziergang ist große Aufmerksamkeit geboten. Man muss sie um Mauern, Autos, Mülltonnen und tiefhängende Äste herumlenken, damit sie nicht dagegen läuft. Gräben, Löcher in der Wiese, Maulwurfshügel, Grasbüschel oder Treckerspuren im Acker sind gefährliche Hindernisse. Man muss immer ein paar Schritte vorausdenken, damit nichts passiert. Trotzdem stolpert Peppi oft, und manchmal fällt sie hin.

Doch es ist absolut bewundernswert, wie sie sich nach solchen Rückschlägen immer wieder aufrappelt und ihre positive Lebenseinstellung zurückgewinnt. Ein Leckerli als Trostpflaster reicht, und schon ist alles wieder in Ordnung. Sie hat so viel Freude am Leben und Spaß an der Freude, sie lässt sich einfach nicht unterkriegen. Nie wird gejammert. Sie nimmt ihre Einschränkungen einfach so hin und macht das Beste draus. Jeden Tag aufs Neue.

Abends besteht sie auf ihrer Leckerlisuche. Da ist sie inzwischen auch sehr eingefahren. Während sie sich früher immer gefreut hat, wenn wir unterschiedliche Spiele gespielt haben, verwirrt sie das heute nur noch. Sie will Leckerlis suchen, und basta. Und wenn ich keine Leckerlis auslege oder ihr nicht schnell genug bin, dann fängt sie einfach so schon mal an zu suchen.

Im Alter hat Peppi, die sich früher niemals durchgesetzt und immer brav alles akzeptiert hat, einen eisernen Willen entwickelt. Wenn ihr etwas nicht passt, dann zappelt sie so lange herum, bis sie sich durchgesetzt hat. Bürsten zum Beispiel, oder Pfoten abtrocknen. Oder sich streicheln oder vom Tierarzt untersuchen lassen. Das mag sie nicht, und das macht sie auch deutlich, indem sie demonstrativ wegläuft oder herumbockt wie ein kleines Rodeopony. Sie weiß genau, was sie will. Und das versucht sie auch durchzusetzen.

Das kann manchmal ganz schön anstrengend sein. Aber ich bin auch froh, dass sie so einen eisernen Willen hat, denn das zeigt mir, dass es ihr gut geht. Ich habe sie während ihrer schlimmen Krankheiten erlebt, z.B. bei der Bauchspeicheldrüsenentzündung. Da war sie vor lauter Schmerzen so willenlos und hat kaum reagiert. Als es ihr besser ging und sie wieder anfing, deutlich zu machen, dass sie keine Lust auf die Tierarztpraxis hatte, war ich heilfroh.

Beim Tierarzt bin ich – mal mit, mal ohne Hund – natürlich inzwischen Dauergast. Allein zum regelmäßigen Abholen von Medikamenten und Behältern für Kot- und Urinproben.

Und Peppi ist natürlich nicht mein einziger Hund. Wir haben ja auch noch Luzi, und die ist alles andere als pflegeleicht. Gesundheitlich ist sie zwar besser aufgestellt, aber ihre Verhaltensauffälligkeiten sind immer noch ziemlich nervenaufreibend. Vor allem jetzt, in der Zeit zwischen Januar und März, die besonders anstrengend ist.

Ich bitte also um Verzeihung, wenn hier immer mal wieder ein paar Monate Funkstille einkehrt. Es gibt im Altenpflege-Alltag auch nicht so wahnsinnig viel zu berichten, was einen Blog-Artikel füllen würde. Es sind mehr die Kleinigkeiten, die den Tag bereichern.

Für mich hat meine Peppi jedenfalls die oberste Priorität, und alles andere kann warten. Ich beobachte sie jeden Tag. Wenn es ihr schlecht geht, leide ich mit ihr. Wenn sie gut drauf ist, hopsen wir zusammen durch die Gegend und ich freue mich über ihren unbändigen Lebenswillen. Sie hat noch immer so viel Spaß am Spielen und man kann ihr mit einem einfachen Stückchen Trockenfutter eine so große Freude machen …

Es ist wundervoll zu sehen, wie einfach Glück doch sein kann. Wir Menschen wollen immer die großen Dinge, die großen Gesten, Feuerwerk und Diamanten. Aber das ist doch alles egal.

Keine Schmerzen, eine ordentliche Portion Optimismus und Vertrauen, gute Laune und Leckerlis – das ist es, was man wirklich braucht. Das lehrt mich mein Hund jeden Tag.

(Inga Jung, März 2018)

 

 

Buchtipp: „Hab keine Angst, mein Hund“

Neulich habe ich das Buch „Hab keine Angst, mein Hund. Ängste bei Hunden erkennen und abbauen“ von Rolf C. Franck und Madeleine Grauss (inzwischen Madeleine Franck) wiederentdeckt. Das Buch ist aus dem Jahr 2008 und somit schon etwas älter, aber immer noch absolut aktuell und wirklich empfehlenswert.

Zu Beginn gehen Rolf und Madeleine auf den biologischen Sinn von Ängsten und auf ihre Entstehung ein. Sie beschreiben, was enorm wichtig ist, dass Angst immer mit Erregung einhergeht. Und je stärker die Erregung ist, desto heftiger die Angst. Und desto schwieriger ist es, den Hund noch zu erreichen. Das heißt, an der Angst muss immer in den Situationen gearbeitet werden, in denen die Erregung des Hundes noch nicht so stark ist, in denen er noch ansprechbar ist. Versucht er schon zu fliehen oder anzugreifen, dann ist die Angst zu heftig und keine Arbeit an dem Verhalten mehr möglich.

Es wird gezeigt, was man auf keinen Fall tun sollte, zum Beispiel die Angst des Hundes ignorieren oder ihn zwingen, sich dem Angstauslöser zu nähern. Beides schadet dem Vertrauensverhältnis zwischen Mensch und Hund und verstärkt mit hoher Wahrscheinlichkeit die Angst.

Auch dass der Hund ein sicheres Umfeld zu Hause braucht, in dem er sich wohl fühlt und seine Bedürfnisse erfüllt werden, wird nicht vergessen. Ebenso dass der Mensch immer der „sichere Hafen“ sein muss, zu dem der Hund sich voller Vertrauen flüchten kann und darf.

Dann geht es weiter mit den Trainingstechniken, die in den verschiedenen Situationen hilfreich sind. Dabei werden typische Ängste und dafür geeignete Trainingstechniken beschrieben. Alles natürlich gewaltfrei und auf das Tempo des einzelnen Hundes abgestimmt.

Mir persönlich kommt nur eine einzige Sache in diesem Buch etwas zu kurz, nämlich dass man als Mensch an sich selbst arbeiten muss. Jeder, der mal mit einem ängstlichen, reaktiven Hund unterwegs war, kennt das: Man sieht oder hört den Auslöser der Angst und denkt unwillkürlich „oh nein!“. Das wiederum zieht körperliche Reaktionen nach sich, der Herzschlag beschleunigt sich, man bewegt sich anders, man wird nervös, man nimmt die Leine kürzer und so weiter.

Das ist ganz normal. Aber man macht es dem Hund dadurch unnötig schwer, denn wie soll er denn gelassen auf einen Angstauslöser reagieren, wenn sein Mensch ebenfalls Schweißausbrüche bekommt? Das bedeutet: Ich muss an mir arbeiten. Ich muss lernen, tief durchzuatmen und mich bewusst zu entspannen, um meinem Hund zu helfen.

Jeder kann das. Und wenn man das erst einmal gelernt hat, dann hilft es einem auch in vielen anderen aufregenden Situationen, zum Beispiel im Job, weiter. Es lohnt sich also doppelt, sich auch mit sich selbst und seinen eigenen Reaktionen auseinanderzusetzen und nicht immer nur auf den Hund zu schauen.

Von diesem einen Punkt abgesehen, finde ich das Buch absolut gelungen. Es ist durch die vielen Erläuterungen und praktischen Beispiele eine große Hilfe für Menschen mit Hunden, die ihr Heil bisher in Flucht oder Angriff gesucht haben und ihre Ängste nun langsam abbauen sollen.

(Inga Jung, Juli 2017)

 

Das Gefühlsleben der Insekten

Ich las neulich in einer Zeitschrift, in der es um veganes Leben und Tierschutz ging, wie ein Veganer meinte, er hätte kein Problem damit, Insekten zu essen, denn diese verspürten keinen Schmerz. In der Tat bildet sich gerade eine ganze Industrie, die sich damit beschäftigt, wie man Insekten als Nahrungsmittel züchten und vermarkten kann. Kein Witz. Es ist ja bekannt, dass die menschliche Überbevölkerung in gar nicht so ferner Zeit nicht mehr überleben kann, wenn die Menschen ihren Fleischkonsum nicht einschränken. Aber statt sich auf Pflanzen, Obst und Gemüse zu konzentrieren, die alles enthalten, was der Mensch braucht, werden jetzt absurderweise Insekten als „Fleischersatz“ herangezogen.

Wenn jemand einfach so in die Welt hinausposaunt, Insekten fühlten keinen Schmerz, kann ich mich einfach nicht beherrschen. Ich muss das hinterfragen. – Ja, ich weiß, das ist eine Eigenart, mit der ich meiner Umgebung gehörig auf die Nerven gehen kann, aber irgendwer muss solche Fragen schließlich stellen. Denn ich bin der Meinung, dass man über etwas so Persönliches wie Schmerz nur Bescheid wissen kann, wenn man es selbst erlebt hat. Schon allein von Mensch zu Mensch gibt es doch einen großen Unterschied in der Definition von Schmerz. Was der einen nur ein leises „Autsch“ entlockt, veranlasst den anderen, die gesamte Nachbarschaft zusammenzuschreien.

Das Problem bei der ganzen Sache ist doch: Wir sind keine Insekten, sondern Menschen. Das heißt:

Wir wissen es einfach nicht.

Nun kommen die Forscher an und sagen, Insekten haben kein mit dem Unseren vergleichbares Nervensystem. So weit so gut.

Aber nur weil es uns nicht ähnelt, kann es doch trotzdem irgendetwas in der Art geben, oder? Es müssen ja nicht dieselben Gefühle sein, die wir fühlen. Aber vielleicht empfinden Insekten etwas anderes, ebenfalls Unangenehmes, wenn die Fliegenklatsche sie erwischt. Woher wollen wir so genau wissen, dass dem nicht so ist?

Ich mag zum Beispiel Spinnen. Spinnen dürfen bei mir im Haus leben, bis sie eine gewisse Maximalgröße erreicht haben. Wenn das der Fall ist, dann nehme ich ein Glas und eine Postkarte und setze sie behutsam nach draußen, wo sie weiterleben dürfen.

Bei dieser Aktion berühre ich zwangsläufig die Spinnenbeine mit der Postkarte – und die Spinne reagiert. Jede Spinne tut das. Sie erstarren, sie zucken zurück, sie versuchen zu fliehen … Mit anderen Worten: Sie spüren die Berührung. So sehr ich mich auch bemühe, ich finde keine andere Erklärung für ihre Reaktionen.

Aber wenn sie Berührungen spüren können, wie kann man dann behaupten, sie würden nichts empfinden?

Es ist noch gar nicht so lange her, da behaupteten Menschen, dass die Schmerzensschreie eines bei lebendigem Leib aufgeschlitzten Hundes nichts anderes seien als mechanische Reaktionen, wie das Quietschen eines nicht geölten Rades.

Glücklicherweise sind diese Zeiten vorbei und jeder weiß inzwischen, dass Hunde Schmerzen empfinden wie wir.

Bei Nutztieren scheint es aber immer noch Menschen zu geben, die ihnen sämtliche Gefühle absprechen wollen. Es sind ja „nur Nutztiere“ – geboren, um für uns Menschen zu sterben. Da ist der Gedanke daran, dass sie leiden, doch eher unbequem. Wer will schon so genau wissen, was für Gefühle, Gedanken und Hoffnungen das Steak auf dem Teller noch vor ein paar Monaten hatte …? Das verdirbt einem doch bloß den Appetit.

Und es gibt sogar heute noch sogenannte „Sport-Angler“, die nach wie vor an der Behauptung festhalten, Fische hätten kein Schmerzempfinden. Damit beruhigen sie ihr Gewissen und müssen sich keine Vorwürfe machen, wenn sie den schwer verletzten Fisch wieder ins Wasser werfen. Schließlich haben sie ihn nicht getötet, wie edel … Dabei wurde bereits vor vielen Jahren in völlig unnötigen und tierquälerischen Versuchen eindeutig nachgewiesen, dass Fische ebenso Schmerzen empfinden wie wir Säugetiere.

So. Und jetzt kommt der Mensch und spricht den Insekten die Fähigkeit, Schmerzen zu empfinden, ab. Wenn man sich mal vor Augen führt, wie oft wir uns in dieser Hinsicht im Laufe unserer ruhmlosen Geschichte schon geirrt haben, dann möchte ich diese Behauptung zumindest nicht unkommentiert im Raum stehen lassen. Denn ich glaube nicht, dass irgendjemand schon mal ein Insekt nach seiner Meinung zu diesem Thema gefragt hat.

Wir Menschen neigen trotz aller wissenschaftlicher Erkenntnisse immer noch dazu, uns selbst als den Nabel der Welt und das wichtigste Tier auf dem Planeten zu betrachten. Und das obwohl wir inzwischen wissen, dass die menschliche Existenz im Vergleich zur Erdgeschichte gerade mal eine Winzigkeit ausmacht und wir es, wenn wir so weitermachen, vermutlich noch schneller als die Dinosaurier schaffen, von diesem Planeten wieder zu verschwinden. Nur die Verwüstung, die wir hinterlassen, wird sehr viel größer sein als die damalige.

Wer jemals zwischen Pflastersteinen Unkraut gejätet und dabei eine gesamte Ameisenkolonie in helle Aufregung versetzt hat, der kommt doch gar nicht umhin, darüber nachzudenken, was wohl in den Köpfen dieser kleinen Wesen vorgeht und wie ihr Leben aus ihrer Perspektive aussieht. Es hätte den Film „Antz“ niemals gegeben, wenn sich nicht noch mehr Menschen in ganz ähnlichen Gedanken verlieren würden. Ebensowenig hätte die „Biene Maja“ das Licht der Welt erblickt.

Unsere menschliche Arroganz ist grenzenlos, und sie macht uns blind. Aber glücklicherweise haben wir unseren Verstand und somit die Möglichkeit, über unsere Handlungen nachzudenken. Ich jedenfalls bin sehr vorsichtig geworden, was Insekten betrifft, denn vielleicht ist ihre Welt doch sehr viel umfangreicher, als wir mit unserer beschränkten menschlichen Sichtweise es je erahnen könnten.

Insekten sind faszinierend, und sie sind anders als wir. Aber wissen wir wirklich, dass sie keine Schmerzen oder irgendwelche ähnlichen Gefühle kennen? Wissen wir das? Vielleicht ja. Vielleicht nein. Seien wir lieber vorsichtig mit Behauptungen über Dinge, von denen wir einfach viel zu wenig verstehen.

(Inga Jung, Juni 2017)

Buchtipp: „Medical Training für Hunde“

Es wird Zeit für eine Wiederaufnahme der Buchtipps:

Heute möchte ich das ganz wundervolle und rundum gelungene Buch „Medical Training für Hunde. Körperpflege und Tierarztbesuche vertrauensvoll meistern“ von Anna Oblasser-Mirtl und Barbara Glatz vorstellen.

Es wird zunächst beschrieben, wie Hunde eine unter Zwang durchgeführte Dusche, Schur oder das Krallenschneiden empfinden und dass sie dabei oft in enormen Stress geraten, bis hin zu Angstzuständen, weil sie einfach nicht wissen, was der Mensch mit ihnen vorhat.

Dabei ist es gar nicht so schwer, einem Hund Schritt für Schritt zu zeigen, was man tun möchte, und ihn sogar aktiv mitwirken zu lassen. Diese aktive Gestaltungsmöglichkeit gibt dem Hund Sicherheit und das gute Gefühl, dass ihm nichts Schlimmes geschehen wird.

In diesem kleinen Büchlein werden nun zahlreiche Situationen beschrieben und sehr praxisnahe, in kleinen Schritten aufgebaute Trainingstipps gegeben. Beispielsweise kann der Hund lernen, seinen Kopf auf den Schoß des Menschen zu legen und dort zu lassen, während seine Ohren untersucht werden. Oder er lernt, auf eine Matte zu treten und dort stehen zu bleiben, während er vom Tierarzt geimpft wird.

Dabei hat er stets die Möglichkeit, dieses Verhalten zu unterbrechen und dadurch eine Pause einzufordern, wenn es zu viel für ihn wird. Damit das in der realen Anwendung beim Tierarzt nicht geschieht, muss das gesamte trainierte Verhalten sorgfältig generalisiert werden.

Wer jetzt tief durchatmet, dem sei gesagt: Ja, stimmt, das ist eine ganze Menge Arbeit. Aber was ist diese Arbeit schon, wenn man im Gegenzug einen Hund bekommt, der sich beim Tierarzt vertrauensvoll und ruhig untersuchen lässt, sich freiwillig auf dem Röntgentisch in die Seitenlage legt und zum Blutabnehmen sogar die Pfote reicht? Was für ein Traum!

Dafür ist allerdings auch ein kooperativer Tierarzt vonnöten. Um die Abläufe trainieren und den Hund optimal vorbereiten zu können, muss man sich vorher die genaue Information vom Tierarzt holen, was denn eigentlich gemacht wird. Und das ist meiner Erfahrung nach nicht so einfach. Da trainiert man beispielsweise das Blutabnehmen an der Vorderpfote, und dann besteht der Tierarzt auf einmal darauf, am Hinterlauf Blut abzunehmen. Oder es wird vorher gesagt, dass für die Ultraschalluntersuchung nur der Bauch rasiert sein muss und der Hund dabei stehen darf, aber in der Praxis stellt sich heraus, dass doch eine Rasur des Brustkorbs nötig ist und der Hund liegen muss. Dann ist alles Training auf einmal für die Katz.

So etwas darf nicht passieren, daher sind das Vertrauensverhältnis zum Tierarzt und die Verlässlichkeit seiner Aussagen hier ebenso wichtig wie das fleißige Trainieren.

Ebenso muss der Tierarzt einverstanden sein, dass man auch bei ihm in der Praxis übt, denn sonst ist eine ausreichende Generalisierung nicht möglich.

Das Buch gibt aber nicht nur Tipps für Tierarztbesuche, sondern auch für all die Dinge, die man selbst zu Hause machen kann: vom Krallenschneiden über die Ohrenpflege und das Zähneputzen, bis hin zum Fiebermessen und dem Verbinden von Verletzungen sowie dem Duschen des Hundes und dem Scheren des Fells und noch weiteren Alltagssituationen. All das wird früher oder später in einem Hundeleben mal benötigt, und es ist sinnvoll, es mit dem Hund zu üben, damit er freiwillig und gern mitarbeitet.

Wer sich unter den Beschreibungen der Trainingsschritte im Text nicht genug vorstellen kann und das Ganze gern einmal in der Praxis sehen möchte, der findet im Anhang des Buches auch noch einige Video-Links, in denen die wichtigsten Abläufe gezeigt werden. Zusätzlich sind zahlreiche Fotos im Buch, die die trainierten Verhaltensweisen illustrieren.

In unseren heutigen Zeiten, in denen Hunde immer mehr zu geliebten Familienmitgliedern werden, ist es wirklich kaum zu begreifen, warum sie zu so einfachen Dingen wie dem Krallenschneiden nach wie vor so oft gezwungen werden. Obwohl das doch gar nicht nötig ist. Das Buch setzt hier an und zeigt auf, dass es auch ganz anders geht. Eine wirklich runde Sache, wie ich finde. Mit sehr viel Liebe und Verständnis für die vierbeinigen Patienten geschrieben.

(Inga Jung, Mai 2017)

 

 

 

 

 

 

„Rassismus“ im Tierschutz

Neulich saß ich in der Pflegestelle eines Hundes aus dem Tierschutz, zusammen mit den dort wohnenden Menschen und der Vorsitzenden des örtlichen Tierschutzvereins, und man amüsierte sich über vegane Ernährung und all diese albernen neumodischen Trends. Das machte mich doch sehr nachdenklich, denn wohlgemerkt, alle Versammelten bezeichneten sich selbst als Tierschützer. Das waren keine Schweinebauern, die ihre wirtschaftlichen Interessen schützen wollten, und auch keine Leute, die sich noch nie mit dem Thema Tierquälerei befasst haben. Und trotzdem fanden sie vegane Ernährung, also die einzige Ernährungsweise, die wirklich komplett ohne Tierquälerei auskommt, albern.

Ich will jetzt nicht im Glashaus sitzen und mit Steinen werfen, denn ich lebe auch nicht zu 100 Prozent vegan. Aber schon zu mindestens 80 Prozent. Und bei den wenigen Milchprodukten und Eiern, die ich kaufe, achte ich darauf, dass sie von Bioland-  oder Demeter-Höfen kommen, weil mir die deutschen und europäischen Biosiegel nicht ausreichen. Dennoch: Ich trage dadurch dazu bei, dass kleine Kälbchen nach der Geburt ihren Müttern weggenommen werden, und auch diese Tiere werden nicht an Altersschwäche sterben, sondern im Schlachthof, und das ist nicht gut. Aber ich weiß das, fühle mich schuldig und versuche mich einzuschränken. Und ich lache ganz und gar nicht über Menschen, die es besser machen als ich, im Gegenteil, ich bewundere sie. Das ist es, worauf ich hinaus will.

Jemand, der sich für den Tierschutz engagiert, der darf doch nicht unterscheiden zwischen „guten“ und „schlechten“ Tieren. Er darf doch nicht sagen: „Das süße Kätzchen rette ich, aber was mit dem Huhn passiert, das ist mir egal.“ Das ist nichts anderes als Rassismus. Oder, um es noch deutlicher zu machen:

Wer Zeit und Geld investiert und hunderte von Kilometern ins Ausland reist, um Hunde aus den Tötungsstationen zu retten, sich dann aber auf dem Rückweg an der Autobahnraststätte Burger, Schnitzel und Würstchen reinzieht – der ist in meinen Augen um keinen Deut besser als jemand, der sich in einer Hilfsorganisation für die Ausbildung von weißen Kindern stark macht und das mit Geld finanziert, das er der schwarzen Bevölkerung wegnimmt.

Oder, um noch bildlicher zu sprechen: Das kann man mit einem Feuerwehrmann vergleichen, der in einen brennenden Kindergarten rennt und nur die Kinder rettet, die er selbst niedlich findet, während er den Kindern, die er hässlich findet, sagt: „Um euch ist es nicht schade. Seht zu, wo ihr bleibt.“

Diskriminierung gibt es überall. Wir Menschen lieben es, andere zu kategorisieren und in Schubladen zu stecken. In Filmen trennen wir ganz klar die Guten von den Bösen, und die Guten dürfen dabei gerne so viele von den Bösen erschießen, wie sie wollen, das macht nichts, denn die waren ja böse. Aber so schwarz-weiß ist die Welt nicht. Auch die Bösen haben in aller Regel Menschen, die sie lieben, und vielleicht sind sie sogar unverschuldet in die Situation geraten. Das kann man doch nicht wissen, ohne genau nachzufragen.

Und auch unsere Einteilung der Tiere in Nutztiere und Haustiere ist im Grunde nichts als Blödsinn, denn es gibt keine Unterschiede zwischen ihnen. Sie alle leben, fühlen, lieben, denken (richtig, sie denken, dazu gibt es inzwischen reichlich Forschungsergebnisse), haben Ängste und verspüren Freude und Lebenslust. Wer mal gesehen hat, wie ein Kälbchen oder ein Ferkel über die Weide springen, der wird daran kaum Zweifel haben. Nur sieht man das ja leider nicht so oft. In unseren Zeiten der Massentierhaltung verbringen diese Tiere, die nur geboren werden, um von uns Menschen ausgebeutet und getötet zu werden, ihr kurzes Leben hinter Mauern, kommen niemals ans Tageslicht und haben nur sehr selten mal einen Grund, sich über etwas zu freuen. Meist sitzen sie in ihrem eigenen Dreck und können nur davon träumen, den blauen Himmel zu sehen. Vor Stress kauen sie sich gegenseitig die Ohren blutig oder picken sich die Haut wund. Und wenn sie in das jugendliche Alter kommen, in dem normalerweise das Leben erst so richtig spannend wird, dann ist es schon an der Zeit für die Schlachtung.

Das aber wird von unseren Fleisch essenden Mitmenschen, seien es Tierschützer oder nicht, achselzuckend hingenommen. Denn es sind ja „nur Nutztiere“, und dank dieser Kategorisierung kann man mit ihnen schließlich machen, was man will.

Ich möchte an dieser Stelle einmal daran erinnern, dass es noch gar nicht so lange her ist, dass hier in Deutschland auch Menschen in eine solche Kategorie eingeteilt wurden. Man hat damals mit ihnen genau dasselbe gemacht, was wir heute mit unseren Nutztieren tun: Man hat sie gedemütigt und gequält, in Transporter verladen, ohne Rücksicht auf ihr Befinden, man hat sie über lange Strecken befördert, ihnen Angst und Schmerz zugefügt, sie bis aufs Blut ausgebeutet, und am Ende hat man sie auf grausame Weise getötet. Aber das war nach der damaligen Ideologie alles nicht schlimm, denn es waren ja „nur Juden“.

Heute ist uns allen bewusst, dass das Unrecht war. Es war grausam, grauenvoll und durch nichts zu rechtfertigen. Ich hoffe, dass irgendwann auch die Zeit kommen wird, in der wir Menschen nicht mehr das Recht haben zu sagen: „Es ist doch nur ein Schwein. Ist ja nicht so, als würden wir hier einen Hund schlachten.“ Denn dann, in dieser hoffentlich nicht mehr fernen Zeit, wird es endlich anerkannt sein, dass ein Schwein, ein Rind und ein Huhn genauso ein Recht auf ein Leben ohne Leid und Schmerz haben wie ein Hund. Denn wir wissen schließlich schon heute: Es gibt keinen Unterschied.

(Inga Jung, Januar 2017)

Der Mensch und seine irrationalen Ängste

Wir Menschen sind schon sehr merkwürdige Lebewesen. Wir haben Angst vor allen möglichen Dingen, die es zum Teil noch nicht einmal gibt, während uns reale Gefahren völlig kalt lassen.
Wir haben Angst vor Aliens und vor Zombies. Vampire und Werwölfe nicht zu vergessen. Und der Teufel. Oder wahlweise der Zorn Gottes, der ist auch nicht von schlechten Eltern. Alles höchst gefährlich.
Oder kehren wir in den ganz normalen Alltag zurück und nehmen einfach mal den Wolf. Es vergeht kaum eine Woche, in der nicht irgendwo in Deutschland ein reißerischer Zeitungsartikel verfasst wird, der die irrationalen Ängste der Menschen vor dem großen bösen Wolf schürt. Sobald ein Wolf ein Schaf gerissen hat (oder auch mehrere Schafe, was durchaus vorkommt, wenn der Mensch seine Tiere nicht ausreichend schützt), wird gleich geschrien: Morgen kommt er und frisst unsere Kinder! Abschießen! Tötet die Bestie!
Dabei leben inzwischen seit 16 Jahren Wölfe in Deutschland, und in all dieser Zeit hat kein einziger Wolf auch nur einem Menschen einen Kratzer zugefügt. Umgekehrt haben wir Menschen allerdings in diesen 16 Jahren schon zahlreiche Wölfe totgefahren, mit dem Auto gejagt, angeschossen, erschossen, zweimal sogar geköpft … Wer hier für wen eine Gefahr darstellt, muss ich doch wohl nicht noch weiter ausführen.
Oder Spinnen. Was haben wir Menschen doch eine grauenvolle Angst vor Spinnen! Nun, zugegeben, es sind vermutlich mehr Spinnen für den Tod von Menschen verantwortlich als Wölfe, denn es ist sicher schon so mancher Mensch beim Anblick einer kleinen Hausspinne in heller Panik auf dem nassen Badezimmerfußboden ausgerutscht und hat sich den Kopf angehauen. Aber ob man da nun wirklich der Spinne die Schuld geben sollte oder vielleicht doch lieber der übertrieben hysterischen Reaktion des Zweibeiners, tja …
Aktuell schwebt ja die Terrorismus-Gefahr über uns allen. Keine Frage, so ein Terroranschlag ist etwas Schreckliches. Aber deswegen jetzt gleich ganze Bevölkerungsgruppen und Glaubensgemeinschaften unter Generalverdacht zu stellen und jeden Muslim wie einen Aussätzigen zu behandeln – ja, das ist nun wieder typisch Mensch: völlig irrational.
Liebe Pegida-, Legida-, NPD-, AfD-, CSU- und was es noch so alles gibt Anhänger: Glaubt ihr allen Ernstes, es gäbe keine Gefahren mehr, wenn es in Deutschland keine Muslime gäbe? Seid ihr wirklich so dumm oder ist das auch wieder ein Fall für „wenn man nur daran glaubt, wird jede Lüge irgendwie wahr“? Arschlöcher gibt es überall, in jeder Religion und in jedem Land. Und ja, ihr lest richtig, ich zähle euch auch dazu.
Natürlich sind manche Muslime keine guten Menschen. Manche Christen auch nicht. Und wenn ich mir euch so anschaue, dann auch ganz allgemein viele, viele Deutsche nicht. Zum Glück hat diese Eigenschaft aber nichts mit einer Religion oder einer Staatsangehörigkeit zu tun, sondern mit der Persönlichkeit und der individuellen Geschichte eines Menschen. Und glaubt mir, ein Mensch, der sich überall ausgeschlossen fühlt, wird viel eher zum Terroristen als einer, den man gut behandelt. Denkt mal darüber nach.
Aber ich schweife vom Thema ab. Es ging um irrationale Ängste und warum wir so viele davon haben. Ich muss sagen, so genau weiß ich das auch nicht. Es scheint aber etwas mit der psychischen Reife zu tun zu haben. Als Kind hatte ich Angst vor den Krokodilen, die nachts unter meinem Bett waren. Und egal, was man mir gesagt hat, ich wusste einfach, dass sie nachts, wenn es dunkel war, dort darauf lauerten, dass ich eine Hand oder einen Fuß unter der Decke hervorstreckte. Tagsüber oder wenn man das Licht anschaltete, waren sie natürlich weg, das war doch klar.
Heute weiß ich, dass das Blödsinn war, aber in meiner kindlichen Welt war es real. So ähnlich muss das sein mit diesen irrationalen Ängsten vor Wölfen, Spinnen und Muslimen. Anders kann ich es mir nicht erklären.
Denn wir leben in einer Welt, in der im Jahr 2015 etwa 3.400 Menschen im Straßenverkehr gestorben sind und für das Jahr 2016 erneut etwa eine Zahl von 3.300 Verkehrstoten erwartet wird. Im Straßenverkehr verletzt werden jedes Jahr etwa 400.000 Menschen (Quelle: Pressemitteilung des Statistischen Bundesamtes Nr. 439 vom 08.12.2016).
Haben wir deswegen panische Angst vor Autos und Motorrädern? Nicht wirklich. Wir setzen uns weiterhin jeden Tag ins Auto, kutschieren unsere Lieben durch die Gegend und blenden diese ganz reale Gefahr einfach aus. Schließlich haben wir auch keine Zeit, uns ständig Gedanken über so etwas zu machen, denn dann kämen wir nicht mehr dazu, uns vor Spinnen und Wölfen zu fürchten.
Oder nehmen wir mal den Tabakkonsum: Im Jahr 2014 sind allein 15.513 Frauen an den Folgen des Rauchens gestorben (Pressemitteilung Nr. 182 des Statistischen Bundesamtes vom 31.05.2016). Das sind nur die Frauen. Männer noch nicht mit eingerechnet. Trotz dieser unfassbar erschreckenden Zahl rennen wir nicht in Panik davon, wenn wir eine qualmende Zigarette sehen, sondern im Gegenteil, die Zigarettenpause gilt immer noch für viele Menschen als Zeit der Erholung. Das muss man sich mal vorstellen: Ich erhole mich, indem ich mich einer tödlichen Gefahr aussetze.
Nun gut, jeder wie er mag. Aber kommt mir bitte nicht noch einmal mit den gefährlichen wilden Wölfen, die unbedingt alle abgeknallt werden müssen, damit wir in Deutschland wieder sicher leben können. Ihr Vollpfosten.
(Inga Jung, 14.12.2016)

Buchtipp: „Hunde. Evolution, Kognition und Verhalten“

 

Das Buch „Hunde. Evolution, Kognition und Verhalten“ von Dr. Ádám Miklósi ist sicher keine leichte Kost, das sei schon zu Anfang gesagt. Wer auf der Suche nach einem locker zu lesenden Schmöker ist, der sei gewarnt: Dr. Ádám Miklósi ist durch und durch Wissenschaftler, und genauso schreibt er auch.

Hunde

Ich finde dieses Buch, das im Jahr 2009 im Kosmos Verlag erschien, hoch interessant, da es sich dem Thema Hund komplett von der wissenschaftlichen Seite her nähert und trotzdem den Hund nicht als ein Forschungsobjekt betrachtet, sondern als ein fühlendes und denkendes Lebewesen, dem man auch in der Wissenschaft keine unangenehmen Experimente zumuten darf. In diesem Zusammenhang geht der Autor beispielsweise auf die grausamen Versuche zur erlernten Hilflosigkeit ein, die in den Sechzigerjahren durchgeführt wurden, und verurteilt diese als unethisch und nicht zu rechtfertigen.

Miklósi beleuchtet alle Aspekte rund um den Hund, sowohl die Geschichte der Domestikation, als auch seine Sinnesleistungen und sein Verhalten sowie die bisherige und eventuelle zukünftige Forschung zu unserem ältesten Haustier. Dabei betont er immer wieder den engen Bezug des Hundes zum Menschen und die Tatsache, dass Hunde und Menschen einfach zusammengehören: „Heute sind sich die Wissenschaftler weitgehend einig, […] dass Hunde- und Menschenverhalten tatsächlich einige bedeutsame Merkmale gemeinsam haben.“ (S. 367)

Da er der Ansicht ist, dass man das Verhalten und die Leistungen eines Tieres am besten in seinem natürlichen Umfeld betrachtet, ist er im Hinblick auf den Hund der Meinung, dass Verhaltensbeobachtungen immer in Anwesenheit der Bezugsperson des Hundes und in einem für den Hund normalen Umfeld erfolgen sollten. Dies nicht zuletzt deshalb, weil herausgefunden wurde, dass Hunde sich durch die Anwesenheit eines vertrauten Menschen viel schneller beruhigen lassen, als durch die Anwesenheit eines vertrauten Hundes oder eines fremden Menschen.

Manchmal war ich bei der Lektüre etwas überrascht angesichts der leichten Inkonsequenz, mit der Miklósi sich zum Thema Dominanzverhalten äußert. Einerseits stellt er heraus, dass die Beobachtungen zum Dominanzverhalten, die früher die Dominanztheorie begründeten, im Gehege entstanden sind, was weder für den Wolf, noch für den Hund eine natürliche Situation darstellt. Und dass sich Wolf und Hund in ihrer natürlichen Umgebung (freie Wildbahn bzw. menschliche Familie) ganz anders verhalten. Er geht ebenfalls darauf ein, dass die neuere Wissenschaft eher dazu neigt, den Hund als Mitglied seiner menschlichen Familie zu sehen, das keinerlei Dominanzbeziehungen zu den anderen Familienmitgliedern entwickelt.

Andererseits verstrickt er sich dann aber doch wieder in widersprüchliche Aussagen, was vermuten lässt, dass er sich von der alten Theorie gedanklich noch nicht ganz lösen kann. Zum Beispiel meint er, die Menschen hätten den Hund so gezüchtet, dass er sehr viel aggressionsfreier als der Wolf sei. Das wiederum kann ich nicht nachvollziehen, denn ebenso wie Wölfe können manche Hunde sehr intolerant gegenüber Fremden sein, die nicht zu ihrer eigenen sozialen Gruppe gehören. Und ebenso wie Wölfe sind die meisten Hunde innerhalb ihrer eigenen Familie sehr sanft und geduldig und versuchen, Aggressionen zu vermeiden. Zudem ist das Verhalten solch hoch entwickelter Säugetiere einfach zu individuell, um generelle Aussagen in Bezug auf alle Hunde und alle Wölfe treffen zu können. Sieht man aber ausschließlich die Gehegewölfe vor sich und schließt das Verhalten frei lebender Wölfe aus, dann mag die Aussage stimmen, denn im Gehege treten durch den Stress und die beengte Situation insgesamt deutlich mehr Aggressionen auf. Ich vermute fast, dass die Aussage auf diesem Gedanken beruhte.

Gern zitiere ich den folgenden Absatz: „Immer wieder taucht in der Literatur die Annahme auf, dass das ‚Gewinnen‘ von Spielen Auswirkungen auf die hierarchische Beziehung zwischen Menschen und ihren Hunden hat […]. Abgesehen davon, dass keinerlei Daten zur Untermauerung dieser Annahme vorliegen[…], widerspricht sie auch der Logik des Spiels, weil Spielsignale dazu dienen sicherzustellen, dass eventuelle schädliche Handlungen nicht ernst genommen werden (sollten). Außerdem ist das Spiel durch einen ständigen Rollenwechsel gekennzeichnet, und Tiere vermeiden die Interaktion mit Artgenossen, die zu diesen Rollenwechseln nicht bereit sind.“ (S. 294 f.)

Ich finde es faszinierend, dass Miklósi als Wissenschaftler immer wieder auf die große Ähnlichkeit zwischen Mensch und Hund hinweist und darauf, dass unser Verhalten und unsere Reaktionen häufig vergleichbar sind. Aus diesem Grund fanden schon oft vergleichende Verhaltensexperimente mit Kindern und Hunden statt, in denen durchaus auch Parallelen gefunden wurden. Dass ein Wissenschaftler heutzutage dies nicht ablehnt und als Vermenschlichung abtut, sondern in seine Betrachtungen mit einbezieht, ist meiner Meinung nach ein großer Fortschritt auf dem Weg zu der Erkenntnis, dass Tiere eben keine leblosen Maschinen sind, die nur auf Reize reagieren, sondern genau wie wir denken und fühlen und uns vielleicht ähnlicher sind, als wir immer gedacht haben. Miklósi geht sogar noch weiter und führt an, dass sowohl Hunde wie auch Kinder klare Familienstrukturen brauchen, die ihnen Verlässlichkeit und Sicherheit bieten, und dass Hunde und Kinder in gleichem Maße soziale Unterstützung durch ihre Bezugspersonen benötigen. Er scheut sich ganz und gar nicht, hier Parallelen herauszustellen.

In dem Kapitel über Hunde im Tierheim, in dem es unter anderem darum geht, wie sehr Hunde unter mangelndem Sozialkontakt mit Menschen leiden und dass ihr Stresspegel im Tierheim bereits nach kurzer Zeit messbar ansteigt, fand ich diesen Satz besonders rührend, der im Gegensatz zu dem sonst streng wissenschaftlich gehaltenen Text erstaunlich emotional daherkommt: „ Zwar können Hunde Menschen durch Beißen verletzen, doch auch wir verletzen Hunde, wenn wir sie in Tierheimen sitzen lassen.“ (S. 113)

Bei der Beschreibung der Verhaltensbeobachtungen und Experimente, die mit Hunden durchgeführt wurden, betont Miklósi wiederholt ihre oft erstaunlichen Problemlösungsfähigkeiten. Selbst wenn ein Hund nicht die erwartete Lösung fand, ist der Autor nicht bereit, diese Aufgabe sofort als nicht lösbar einzustufen, sondern er schaut sich kritisch die Umstände an und legt nahe, dass möglicherweise eine für den Hund ungewohnte Umgebung oder die Tatsache, dass der Hund die Aufgabe aus seinem Blickwinkel anders betrachtet als der Mensch, zu dieser vermeintlich fehlerhaften Leistung geführt haben könnten.

Das ist wirklich interessant und ganz und gar nicht abwegig. Miklósi weist mehrfach darauf hin, dass viele Versuche aus absolut menschlicher Sicht aufgebaut sind und somit z.B. hauptsächlich visuelle Aspekte einbeziehen. Der Hund als „Nasentier“ nimmt aber noch viel mehr wahr als wir und setzt dementsprechend vielleicht auch an einem ganz anderen Punkt bei der Problemlösung an. Nur weil wir das mit unseren eingeschränkten Fähigkeiten nicht nachvollziehen können, muss es nicht zwangsläufig falsch sein.

Weiterhin führt Miklósi an, dass Hunde in einigen Versuchen, in denen Menschen anwesend waren, offenbar nicht nur den reinen Versuchsaufbau betrachteten, sondern die Menschen mit einbezogen und das Ganze als soziale, kommunikative Situation bewerteten, so wie sie es sonst aus ihrem Alltag auch gewohnt waren. Dadurch kann es vorkommen, dass ein Hund sich z.B. nicht traut, ein Stück Futter zu nehmen, obwohl er weiß, wie er es bekommen könnte, weil er der Meinung ist, dass einer der anwesenden Menschen Anspruch auf dieses Futterstück erhebt. Oder dass er den Menschen in die Problemlösung mit einbezieht, um das Ganze als gemeinsames Spiel aufzubauen, anstatt sich ausschließlich allein mit der Aufgabe zu beschäftigen. Das kann zu der fehlerhaften Interpretation führen, dass der Hund nicht wisse, wie er das Futter erreichen kann, obwohl er dieses Wissen vielleicht hat, es aber aus verschiedenen Gründen nicht anwendet.

Ich schließe mich Dr. Miklósi an mit der Ansicht, dass wir noch viel über das Wesen und die Gedankenwelt unserer Hunde zu lernen haben, selbstverständlich ohne ihnen dabei ein Leid zuzufügen. Und ich denke, dass wir sicherlich auch vieles von unseren Hunden lernen könnten, wenn wir nur in der Lage sind, uns ihrer Sichtweise zu öffnen und ihnen ohne Vorurteile zu begegnen.

(Inga Jung, August 2016)

Von wahren Helden

 

Gerade jetzt zur Zeit der Fußball-EM wird mir mal wieder bewusst, wie unterschiedlich doch die Definition des Wortes „Held“ oder „Vorbild“ für uns Menschen ist. Mir würde es niemals in den Sinn kommen, einen Fußballer als Helden zu feiern, im Gegenteil. Ich finde es ziemlich affig, dass erwachsene Menschen schwitzend über eine Wiese rennen, alle Nase lang über ihre eigenen Füße stolpern und dann auch noch jammern und schreien wie Kleinkinder und dem Schiedsrichter das alte Lied des „er hat aber angefangen“ erzählen. Als ob sie nicht schon im Kindergarten die Erfahrung gemacht hätten, dass das nicht zieht. Aber gut. Wenn man so was mag, ist es bestimmt eine tolle Sache, auch wenn ich es wohl nie verstehen werde.

Für mich sind die wahren Helden nicht die Berühmtheiten aus Radio und Fernsehen, sondern die ganz normalen Menschen, die im Alltag Ungerechtigkeiten erkennen und zu beseitigen versuchen. Die Menschen, die mit offenen Augen durch die Welt laufen und nicht schweigend wegsehen, wenn sie wahrnehmen, dass etwas falsch läuft, sondern den Mund aufmachen. Die sich trauen unbequem zu sein und nicht immer den Weg des geringsten Widerstandes zu gehen. Die aufklären und andere ermuntern, ebenfalls etwas zu tun, um die Welt zu einem besseren Ort zu machen.

Zum Beispiel sah jemand, den ich gut kenne, im letzten Sommer vor einer Bäckerei einen stark hechelnden großen Hund in der Sonne sitzen, während dessen menschlicher Begleiter schön im Schatten saß und in aller Ruhe ein Stück Kuchen verdrückte. Statt einfach wegzusehen oder sich still zu ärgern ging mein ganz persönlicher Held schnurstracks in die Bäckerei und machte dort eine Riesenszene, wie es denn sein könne, dass der Hund dort in der Sonne sitzen muss und noch niemand wenigstens auf die Idee gekommen ist, ihm eine Schüssel mit Wasser hinzustellen. Man schaute ihn zwar an, als sei er verrückt geworden, aber der Hund bekam sein Wasser, das er auch gierig trank. Und seit diesem Tag stand immer eine Schüssel mit Wasser vor dem Eingang der Bäckerei. Neulich habe ich mit einem Lächeln wahrgenommen, dass jetzt sogar zwei richtige Hundenäpfe angeschafft wurden, die stets mit Wasser gefüllt sind. Die alte Plastikschüssel hat ausgedient. Das mag eine Kleinigkeit sein, aber für diesen Hund war es in dem Moment eine unheimliche Erleichterung. Und das Wichtigste ist, dass sich die Wahrnehmung der Menschen verändert hat und ihnen die Bedürfnisse eines zuvor unbeachteten Tieres bewusst wurden.

Es ist auch nicht immer einfach, in einer Gruppe von Menschen, die sich alle einig sind, einen gegensätzlichen Standpunkt offen zu äußern und zu vertreten. Wenn sich beispielsweise alle Arbeitskollegen darüber unterhalten, wie toll es ist, dass Wurst und Fleisch in einem bestimmten Discounter superbillig angeboten werden, dann gehört schon Mut dazu, in die begeisterte Diskussion die Frage einzuwerfen, ob sie sich denn auch im Klaren darüber seien, was sie da kaufen. Wie qualvoll das Leben der Tiere gewesen sein muss, wenn ihre Haltung so wenig Geld gekostet hat, dass ihre toten Überreste nun zu solchen Preisen verkauft werden können. Die Menschen, die billiges Fleisch wollen, mögen es in der Regel gar nicht, wenn man ihnen vor Augen hält, dass sie durch den Kauf dieser Produkte die Mitverantwortung für unfassbares Leid tragen. Sie wollen das nicht hören. Wer die Auseinandersetzung trotzdem nicht scheut und sich auf die Diskussion einlässt, der ist in meinen Augen ein echter Held.

Als Held ist man nicht immer beliebt. Man darf keine Angst davor haben, dass Menschen unfreundlich reagieren könnten. Werden sie aggressiv, muss man sich beherrschen und sachlich bleiben. Die Menschen hören auf nachzudenken, wenn ihre Emotionen hochkochen. Leute zu verärgern ist daher nicht zielführend. Man muss die nötige Ruhe haben, um eine Diskussion auf freundliche Weise führen zu können. Sogar wenn man jemanden davon abzubringen versucht, seinen Hund zu misshandeln und man das unbändige Bedürfnis hat, diesem Menschen das Gleiche anzutun, was er gerade mit seinem Hund gemacht hat, darf man sich nicht dazu hinreißen lassen. Aggression erzeugt nur Gegenaggression, und das führt niemals zu einer Besserung.

Tja, niemand hat je behauptet, es wäre einfach, ein Held zu sein.

Meine Helden sind Helden des Alltags. Menschen, die sich etwas trauen. Die nicht wegsehen, wenn Lebewesen, die nicht für sich selbst sprechen können, ein Leid geschieht. Die sich für Schwächere einsetzen. Meine Helden sind friedlich und genau deshalb sind sie besonders mutig. Sehr viel mutiger als jemand, der sich mit Gewalt durchzusetzen versucht. Draufhauen kann jeder, das erfordert weder Mut noch Hirn. Wer aber die Augen der Menschen öffnen und Mitgefühl mit anderen hervorrufen möchte, der braucht sowohl Mut als auch die richtigen Worte, oder, um es kurz zu sagen, den Stoff, aus dem Helden sind.

(Inga Jung, Juni 2016)

 

Hundemenschen

 

Es gibt Menschen, die Hunde mögen, sie vielleicht zeitweise in ihr Leben integrieren und durchaus auch gut behandeln, die aber auch jahrelang ohne einen Hund leben können, ohne etwas zu vermissen.

Und es gibt Hundemenschen.

Hundemenschen fühlen sich von dem Tag an, an dem sie zum ersten Mal ihre Augen öffneten und einen Hund erblickten, auf geradezu magische Weise zu Hunden hingezogen. Befinden sie sich in einer Menschenmenge und sehen nur einen einzigen Hund dazwischen, dann bleiben sie unwillkürlich mit ihrem Blick an ihm hängen, und allein seine Anwesenheit zaubert ein Lächeln auf ihr Gesicht. Es ist, als hätten sie in der Menge einen Freund entdeckt.

Sitzen sie bei der Arbeit oder in der Schule, dann fühlen sie sich, als wären sie nur halb da. Kommen sie danach endlich wieder nach Hause und werden von ihrem Hund begrüßt, als wären sie eine Woche lang fort gewesen, dann fühlen sie sich endlich wieder vollständig. Dann ist alles wieder gut. Dann ist wieder zusammen, was zusammen gehört.

Hundemenschen können noch so schlecht gelaunt sein – wenn sie Kontakt zu einem Hund aufnehmen, geht ihr Herz auf und alle Sorgen sind vergessen. Sie gehören einfach zu Hunden, so wie Hunde zu ihnen gehören. Sie haben gar keine Wahl, sie sind nicht wirklich glücklich, wenn sie keine Hunde um sich haben. Es würde immer ein wichtiger Teil von ihnen fehlen.

Ein Hund spürt es sofort, wenn er einen Hundemenschen vor sich hat. Auch Hunde fühlen sich oft magisch zu Hundemenschen hingezogen. Es ist ein gegenseitiges Verstehen da, ein Wissen, das keine Worte braucht, ein unsichtbares Band zwischen ihnen, das niemand außer ihnen selbst sehen kann.

Ich wusste schon als kleines Kind, dass ich ein Hundemensch bin. Natürlich. Das weiß man einfach. Meine Eltern sind leider keine Hundemenschen, und so musste ich lange Jahre bitten und betteln und Überzeugungsarbeit leisten, bis sie einsahen, dass sie gar keine Wahl hatten, da ich einen Hund an meiner Seite brauchte.

Dabei war es doch von Anfang an unübersehbar. Wenn ich zeichnete, dann war auf so gut wie jedem Bild ein Hund zu sehen, egal, welches Thema in Kindergarten und Schule vorgegeben wurde. Oft habe ich gespielt, ich wäre ein Hund. Die Knie meiner Hosen waren dementsprechend schnell durchgescheuert, weil ich ständig auf dem Boden herumkrabbelte. Auch die meisten meiner Kindheitserinnerungen, die haften geblieben sind, hatten etwas mit Hunden zu tun. Zum Beispiel der Urlaub in dem Hotel in Italien, das einen Cocker Spaniel namens Winnetou hatte. Ich weiß nicht mehr viel von diesem Urlaub, aber an den Hund erinnere ich mich in allen Einzelheiten, erinnere mich, wie sein Fell sich anfühlte und wie glücklich ich war, wenn ich ihn kraulte.

Und ich hatte diesen Traum, in dem ich selbst ein Hund war und über eine grüne Wiese rannte. Es fühlte sich großartig an, so zu rennen, völlig euphorisch und frei. Dabei habe ich keine Ahnung, woher dieser Traum gekommen sein könnte, denn ich selbst war schon immer völlig unsportlich und bekam sofort Seitenstiche, wenn ich mal ein paar Meter rennen sollte. Ein eigenes Erlebnis kann das eigentlich nicht gewesen sein. Dieser Traum hat mich stark beeindruckt und ich erinnere mich noch genau daran, obwohl das jetzt fast 30 Jahre her ist.

Mir begegnen hin und wieder auch andere Kinder, bei denen ich mir sicher bin, dass sie Hundemenschen sind. Manchmal wissen ihre Eltern das schon, manchmal auch nicht. Es kam mehrfach vor, dass ich mit meinem Hund durch die Stadt ging und ein kleines Kind beim Anblick meines Hundes auf einmal glänzende Augen und diesen bestimmten, sehnsuchtsvollen Gesichtsausdruck bekam, vor Verzückung zu atmen vergaß und die Hände nach meinem Hund ausstreckte. Ich kenne dieses Gefühl, das hier zum Ausdruck kam, nur zu gut. Mir war sofort klar, dass ich einem Hundemenschen begegnet war. Manchmal sieht man es sogar bei Erwachsenen, dieses Strahlen in den Augen beim Anblick eines Hundes.

Es würde mich nicht wundern, wenn Forscher eines Tages ein bestimmtes Hundemenschen-Gen entdecken würden. Unter den verschiedenen Theorien zum Verlauf der Domestikation des Hundes gibt es auch eine, in der Wissenschaftler davon ausgehen, dass sich nicht nur der gemeinsame Vorfahr unserer heutigen Wölfe und Hunde im Zuge des Jahrzehntausende andauernden Domestikationsprozesses zum Hund entwickelt hat, sondern dass sich gleichzeitig auch die Menschen veränderten und neue Eigenschaften annahmen, welche sie dem Hund näher brachten. Ich finde diese Theorie faszinierend und auch sinnvoll, denn beispielsweise unsere Familienstruktur gleicht viel mehr der von Wölfen und Hunden, als der von anderen Primaten. Die damaligen Menschen waren sicherlich noch nicht so arrogant wie wir es heute sind und hielten sich noch nicht für die Krone der Schöpfung, sondern sie respektierten andere Tiere und waren bereit, sich Gutes und Nützliches von ihnen abzuschauen. Dies könnte durchaus eine Veränderung bewirkt haben, die uns ganz speziell den Hunden nahe brachte.

Das ist natürlich nur eine von vielen Theorien, für die es wenige Nachweise gibt, und vielleicht wird es nie wirklich aufgeklärt, was damals geschehen ist. Spannend finde ich die Diskussion aber allemal, denn wirklich rational erklären lässt sich diese starke Verbindung zwischen Hundemenschen und Hunden nicht, wenn man nicht die Geschichte der Menschheit, die seit mindestens 15.000, vermutlich sogar 30.000 Jahren eng mit der Geschichte der Hunde verknüpft ist, mit einbezieht.

Ich vertraue Hunden. Ich vertraue auf dieses unsichtbare Band zwischen uns, das schon mein gesamtes Leben lang existiert. Ich bin ein Hundemensch.

 

(Inga Jung, Juni 2016)

 

„Wir haben da so einen Problemhund“

 

Ich weiß nicht, wie oft ich diesen Satz am Telefon gehört und in E-Mails gelesen habe. Während meiner Zeit als Hundeverhaltensberaterin, aber auch jetzt noch erhalte ich immer wieder Anrufe von Menschen, deren erster Satz lautet: „Wir haben da so einen Problemhund zu Hause.“ Und oftmals war’s das dann auch schon. Mehr Info ist nicht nötig, der Hund ist ein Problemhund, damit ist doch alles gesagt.

Ich wundere mich immer wieder, wie konsequent Menschen sein können, wenn es darum geht, andere in eine Schublade zu packen und da nie wieder rauszulassen. Geht es aber um den Umgang mit dem Hund, dann ist Konsequenz wieder ein Fremdwort, und der arme Hund wird heute für das gleiche Verhalten gelobt, für das er morgen einen Satz heiße Ohren bekommt.

Problemhund scheint das neue Modewort zu sein, und das kommt sicher nicht von ungefähr. Einen Problemhund zu haben ist nämlich sehr bequem. Nicht ich habe Fehler gemacht, nicht ich stelle zu hohe Erwartungen an meinen Hund, nein, der Hund ist das Problem. Ein Problemhund eben. So, basta. Und jetzt, lieber Hundetrainer, tun Sie mal was dagegen, sonst kommt der ins Tierheim. Dann hol ich mir einen neuen Hund, der funktioniert bestimmt besser und ist nicht so ein Problemhund wie der alte.

Ich weiß, diese Schilderung klingt wie die Übertreibung des Jahrhunderts. Leider sieht genau so oft die Realität aus. Die gute Nachricht lautet: Die meisten Menschen mögen ihren Hund trotzdem irgendwie, mehr oder weniger. Und häufig steckt auch eine Menge Unsicherheit dahinter. Genau da muss man ansetzen.

Es gehört viel Fingerspitzengefühl dazu, in so einer Konstellation den Menschen auf freundliche Weise dazu zu bringen, seine Perspektive zu verändern und die Welt mal mit den Augen seines Hundes zu betrachten. Meiner Ansicht nach ist ein guter Hundetrainer jemand, der die Geduld und die rhetorischen Fähigkeiten hat, dies immer und immer wieder mit unterschiedlichen Menschen erfolgreich durchzuspielen, ohne dabei unfreundlich oder überheblich zu werden. Ist der Mensch erst einmal in der Lage, sich in seinen Hund hineinzuversetzen und nachzuvollziehen, warum er dieses Verhalten zeigt, dann hat man einen Fuß in der Tür. Zeigt sich der Mensch nun gesprächsbereit, dann ist der Weg zu einem gemeinsamen Training mit dem Hund, statt gegen ihn, geebnet.

Dieser Wandel in der Sichtweise ist für ein zufriedenes Zusammenleben von Mensch und Hund das Wichtigste. Der Mensch muss lernen, sich in seinen Hund hineinzudenken und mit ihm gemeinsam Lösungen zu finden, das Hauptaugenmerk auf seine positiven Eigenschaften zu legen und diese zu fördern. Dann wird auch das als problematisch empfundene Verhalten weniger werden, oder vielleicht wird es den Menschen einfach nicht mehr stören, weil er versteht, warum sein Hund sich so verhält. Diesen Wechsel in der Perspektive habe ich oft miterlebt, und so manche Beratungsstunde endete damit, dass die Menschen mir glücklich sagten, wenn das so sei wie ich es erklärt habe und der Hund aus diesen Gründen handele, dann sei das Verhalten gar kein Problem mehr für sie. Aber auch bei wirklich schwierigen Verhaltensweisen half das Verständnis für den Hund dem Menschen, das Training liebevoll und positiv aufzubauen, was zu einem nachhaltigeren Erfolg führte.

Warum ist das nun so, dass Hunde heutzutage so oft als „Problemhunde“ bezeichnet werden? Früher gab es das nicht. Ich kann mich nicht erinnern, in den 1980er- oder 1990er-Jahren mal das Wort „Problemhund“ gehört zu haben, obwohl die Hunde damals das gleiche Verhalten an den Tag legten wie heute. Aber meistens akzeptierten die Menschen das und lebten damit, dass ihr Hund bellte, bettelte oder die Besucher biss. Das war eben so.

Ich will jetzt nicht sagen, dass man so ein Verhalten auch heute noch einfach akzeptieren und damit leben sollte, schließlich ist man ja auch seinen Mitmenschen gegenüber in der Verantwortung, aber ein bisschen mehr Toleranz dem Hund und seinen Angewohnheiten gegenüber täte uns ganz gut.

Denn meiner Erfahrung nach glauben viele Menschen in erster Linie deswegen, ihr Hund sei problematisch, weil ihnen das irgendwelche selbsternannten Hundeprofis mit ihren perfekten Vorzeigehunden oder die zahlreichen Hundeerziehungssoaps im Fernsehen eingeredet haben. Dann werden die Leute unsicher und beginnen, an ihrem Hund und dessen Motiven sowie an der kompletten Beziehung zwischen ihnen und ihrem Tier zu zweifeln. Wenn es ganz schlimm kommt, sehen sie alles, was ihr Hund tut, aus einem negativen Blickwinkel und unterstellen ihm niedere Beweggründe, auf die nun wirklich nur ein Mensch kommen kann.

Würde es wieder in Mode kommen, Hunde so zu akzeptieren wie sie sind, mit all ihren persönlichen Stärken und Schwächen, dann gäbe es schlagartig keine „Problemhunde“ mehr, und viele Menschen wären wieder sehr viel glücklicher mit ihren vierbeinigen Familienmitgliedern.

(Inga Jung, Mai 2016)