Das Buch „Hunde. Evolution, Kognition und Verhalten“ von Dr. Ádám Miklósi ist sicher keine leichte Kost, das sei schon zu Anfang gesagt. Wer auf der Suche nach einem locker zu lesenden Schmöker ist, der sei gewarnt: Dr. Ádám Miklósi ist durch und durch Wissenschaftler, und genauso schreibt er auch.
Ich finde dieses Buch, das im Jahr 2009 im Kosmos Verlag erschien, hoch interessant, da es sich dem Thema Hund komplett von der wissenschaftlichen Seite her nähert und trotzdem den Hund nicht als ein Forschungsobjekt betrachtet, sondern als ein fühlendes und denkendes Lebewesen, dem man auch in der Wissenschaft keine unangenehmen Experimente zumuten darf. In diesem Zusammenhang geht der Autor beispielsweise auf die grausamen Versuche zur erlernten Hilflosigkeit ein, die in den Sechzigerjahren durchgeführt wurden, und verurteilt diese als unethisch und nicht zu rechtfertigen.
Miklósi beleuchtet alle Aspekte rund um den Hund, sowohl die Geschichte der Domestikation, als auch seine Sinnesleistungen und sein Verhalten sowie die bisherige und eventuelle zukünftige Forschung zu unserem ältesten Haustier. Dabei betont er immer wieder den engen Bezug des Hundes zum Menschen und die Tatsache, dass Hunde und Menschen einfach zusammengehören: „Heute sind sich die Wissenschaftler weitgehend einig, […] dass Hunde- und Menschenverhalten tatsächlich einige bedeutsame Merkmale gemeinsam haben.“ (S. 367)
Da er der Ansicht ist, dass man das Verhalten und die Leistungen eines Tieres am besten in seinem natürlichen Umfeld betrachtet, ist er im Hinblick auf den Hund der Meinung, dass Verhaltensbeobachtungen immer in Anwesenheit der Bezugsperson des Hundes und in einem für den Hund normalen Umfeld erfolgen sollten. Dies nicht zuletzt deshalb, weil herausgefunden wurde, dass Hunde sich durch die Anwesenheit eines vertrauten Menschen viel schneller beruhigen lassen, als durch die Anwesenheit eines vertrauten Hundes oder eines fremden Menschen.
Manchmal war ich bei der Lektüre etwas überrascht angesichts der leichten Inkonsequenz, mit der Miklósi sich zum Thema Dominanzverhalten äußert. Einerseits stellt er heraus, dass die Beobachtungen zum Dominanzverhalten, die früher die Dominanztheorie begründeten, im Gehege entstanden sind, was weder für den Wolf, noch für den Hund eine natürliche Situation darstellt. Und dass sich Wolf und Hund in ihrer natürlichen Umgebung (freie Wildbahn bzw. menschliche Familie) ganz anders verhalten. Er geht ebenfalls darauf ein, dass die neuere Wissenschaft eher dazu neigt, den Hund als Mitglied seiner menschlichen Familie zu sehen, das keinerlei Dominanzbeziehungen zu den anderen Familienmitgliedern entwickelt.
Andererseits verstrickt er sich dann aber doch wieder in widersprüchliche Aussagen, was vermuten lässt, dass er sich von der alten Theorie gedanklich noch nicht ganz lösen kann. Zum Beispiel meint er, die Menschen hätten den Hund so gezüchtet, dass er sehr viel aggressionsfreier als der Wolf sei. Das wiederum kann ich nicht nachvollziehen, denn ebenso wie Wölfe können manche Hunde sehr intolerant gegenüber Fremden sein, die nicht zu ihrer eigenen sozialen Gruppe gehören. Und ebenso wie Wölfe sind die meisten Hunde innerhalb ihrer eigenen Familie sehr sanft und geduldig und versuchen, Aggressionen zu vermeiden. Zudem ist das Verhalten solch hoch entwickelter Säugetiere einfach zu individuell, um generelle Aussagen in Bezug auf alle Hunde und alle Wölfe treffen zu können. Sieht man aber ausschließlich die Gehegewölfe vor sich und schließt das Verhalten frei lebender Wölfe aus, dann mag die Aussage stimmen, denn im Gehege treten durch den Stress und die beengte Situation insgesamt deutlich mehr Aggressionen auf. Ich vermute fast, dass die Aussage auf diesem Gedanken beruhte.
Gern zitiere ich den folgenden Absatz: „Immer wieder taucht in der Literatur die Annahme auf, dass das ‚Gewinnen‘ von Spielen Auswirkungen auf die hierarchische Beziehung zwischen Menschen und ihren Hunden hat […]. Abgesehen davon, dass keinerlei Daten zur Untermauerung dieser Annahme vorliegen[…], widerspricht sie auch der Logik des Spiels, weil Spielsignale dazu dienen sicherzustellen, dass eventuelle schädliche Handlungen nicht ernst genommen werden (sollten). Außerdem ist das Spiel durch einen ständigen Rollenwechsel gekennzeichnet, und Tiere vermeiden die Interaktion mit Artgenossen, die zu diesen Rollenwechseln nicht bereit sind.“ (S. 294 f.)
Ich finde es faszinierend, dass Miklósi als Wissenschaftler immer wieder auf die große Ähnlichkeit zwischen Mensch und Hund hinweist und darauf, dass unser Verhalten und unsere Reaktionen häufig vergleichbar sind. Aus diesem Grund fanden schon oft vergleichende Verhaltensexperimente mit Kindern und Hunden statt, in denen durchaus auch Parallelen gefunden wurden. Dass ein Wissenschaftler heutzutage dies nicht ablehnt und als Vermenschlichung abtut, sondern in seine Betrachtungen mit einbezieht, ist meiner Meinung nach ein großer Fortschritt auf dem Weg zu der Erkenntnis, dass Tiere eben keine leblosen Maschinen sind, die nur auf Reize reagieren, sondern genau wie wir denken und fühlen und uns vielleicht ähnlicher sind, als wir immer gedacht haben. Miklósi geht sogar noch weiter und führt an, dass sowohl Hunde wie auch Kinder klare Familienstrukturen brauchen, die ihnen Verlässlichkeit und Sicherheit bieten, und dass Hunde und Kinder in gleichem Maße soziale Unterstützung durch ihre Bezugspersonen benötigen. Er scheut sich ganz und gar nicht, hier Parallelen herauszustellen.
In dem Kapitel über Hunde im Tierheim, in dem es unter anderem darum geht, wie sehr Hunde unter mangelndem Sozialkontakt mit Menschen leiden und dass ihr Stresspegel im Tierheim bereits nach kurzer Zeit messbar ansteigt, fand ich diesen Satz besonders rührend, der im Gegensatz zu dem sonst streng wissenschaftlich gehaltenen Text erstaunlich emotional daherkommt: „ Zwar können Hunde Menschen durch Beißen verletzen, doch auch wir verletzen Hunde, wenn wir sie in Tierheimen sitzen lassen.“ (S. 113)
Bei der Beschreibung der Verhaltensbeobachtungen und Experimente, die mit Hunden durchgeführt wurden, betont Miklósi wiederholt ihre oft erstaunlichen Problemlösungsfähigkeiten. Selbst wenn ein Hund nicht die erwartete Lösung fand, ist der Autor nicht bereit, diese Aufgabe sofort als nicht lösbar einzustufen, sondern er schaut sich kritisch die Umstände an und legt nahe, dass möglicherweise eine für den Hund ungewohnte Umgebung oder die Tatsache, dass der Hund die Aufgabe aus seinem Blickwinkel anders betrachtet als der Mensch, zu dieser vermeintlich fehlerhaften Leistung geführt haben könnten.
Das ist wirklich interessant und ganz und gar nicht abwegig. Miklósi weist mehrfach darauf hin, dass viele Versuche aus absolut menschlicher Sicht aufgebaut sind und somit z.B. hauptsächlich visuelle Aspekte einbeziehen. Der Hund als „Nasentier“ nimmt aber noch viel mehr wahr als wir und setzt dementsprechend vielleicht auch an einem ganz anderen Punkt bei der Problemlösung an. Nur weil wir das mit unseren eingeschränkten Fähigkeiten nicht nachvollziehen können, muss es nicht zwangsläufig falsch sein.
Weiterhin führt Miklósi an, dass Hunde in einigen Versuchen, in denen Menschen anwesend waren, offenbar nicht nur den reinen Versuchsaufbau betrachteten, sondern die Menschen mit einbezogen und das Ganze als soziale, kommunikative Situation bewerteten, so wie sie es sonst aus ihrem Alltag auch gewohnt waren. Dadurch kann es vorkommen, dass ein Hund sich z.B. nicht traut, ein Stück Futter zu nehmen, obwohl er weiß, wie er es bekommen könnte, weil er der Meinung ist, dass einer der anwesenden Menschen Anspruch auf dieses Futterstück erhebt. Oder dass er den Menschen in die Problemlösung mit einbezieht, um das Ganze als gemeinsames Spiel aufzubauen, anstatt sich ausschließlich allein mit der Aufgabe zu beschäftigen. Das kann zu der fehlerhaften Interpretation führen, dass der Hund nicht wisse, wie er das Futter erreichen kann, obwohl er dieses Wissen vielleicht hat, es aber aus verschiedenen Gründen nicht anwendet.
Ich schließe mich Dr. Miklósi an mit der Ansicht, dass wir noch viel über das Wesen und die Gedankenwelt unserer Hunde zu lernen haben, selbstverständlich ohne ihnen dabei ein Leid zuzufügen. Und ich denke, dass wir sicherlich auch vieles von unseren Hunden lernen könnten, wenn wir nur in der Lage sind, uns ihrer Sichtweise zu öffnen und ihnen ohne Vorurteile zu begegnen.
(Inga Jung, August 2016)