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Fortschritte mit Marty

Ich hatte im Juni letzten Jahres noch erzählt, dass Marty fürchterliche Angst vor Besuchern hat. Aber dass er von meiner Freundin, mit der wir oft spazieren gehen, Leckerlis nimmt und wir mit ihr bald ein Besuchertraining starten wollen. – Gesagt, getan. Im vergangenen Sommer ging es los. Und wie ich es erwartet hatte, klappte es ganz wunderbar.

Voraussetzung war zunächst, dass wir erst einmal mit unseren Hunden gemeinsam spazieren gingen, so wie Marty es bereits kannte. Nach dem Spaziergang gingen wir dann alle zusammen in unser Haus und gleich durch in den Garten, wo viel Platz war. Marty konnte sich entscheiden, ob er lieber Abstand halten oder nah zu uns herankommen wollte. Und die Hunde gaben ihm Sicherheit und lenkten ihn von den Menschen ab. Das war ein voller Erfolg.

Noch zweimal machten wir es auf diese Weise, trafen uns zuerst draußen zu einem kleinen Spaziergang und gingen dann zusammen ins Haus. Die Hunde spielten und wir unterhielten uns. Marty blieb entspannt. Er kannte alle anwesenden Menschen, und es war auch kein Mann dabei. Vor Frauen hat er weniger Angst.

Da das so gut klappte, ließ ich meine Freundin beim nächsten Mal direkt ins Haus. Wichtig war nur, dass sie nicht klingelte, damit Marty sich nicht aufregte. Sie schob ihre Hündin als Erstes durch die Tür in den Flur, und so hatte Marty direkt seine kleine Freundin vor der Nase und gar keine Zeit, sich über den Gast aufzuregen. Auch das funktionierte wunderbar.

Zum Schluss waren wir dann so weit, dass meine Freundin auch ohne Hund unser Haus betreten konnte. Diese Situation findet Marty noch ziemlich aufregend. Aber es geht. Er rennt nicht weg und greift auch nicht an. Er bellt nur. Das ist okay. Er bellt auch nach wie vor, wenn mein Mann nach Hause kommt, einfach weil das ein aufregender Moment ist und er dann auch immer noch seine Käsewürfel erwartet. Wir füttern diese weiterhin, wenn mein Mann nach Hause kommt, um die positive Verknüpfung aufrechtzuerhalten. Denn Marty lässt sich von ihm immer noch nicht anfassen. Abgesehen davon kommen die beiden inzwischen aber schon ganz gut miteinander zurecht.

Aber wir waren bei den Fortschritten. Der Besuch meiner Freundin ist jetzt also in Ordnung. Der Besuch von Männern ist weiterhin schwierig. Aber solange Marty in meinem Arbeitszimmer hinter dem sicheren Kindergitter ist, bleibt er die ganze Zeit ruhig und relativ entspannt im Hundebett, während der Besuch da ist. Er bellt nicht und läuft auch nicht umher. Das sehe ich ebenfalls schon als Fortschritt. Solange es ihn nicht stresst, im Arbeitszimmer zu bleiben, ist das durchaus eine gute Alternative.

Einen weiteren Erfolg können wir in puncto Krallenschleifen verzeichnen. Marty hatte von Anfang an recht lange Krallen, und diese wurden immer länger und länger. Schneiden war schwierig, denn wenn ich da aus Versehen mal bei seinen sehr dunklen Krallen zu viel erwischt und ihm wehgetan hätte, dann hätte ich das für alle Zeiten vergessen können. Also habe ich mir gedacht, Schleifen ist die bessere Alternative.

Anfang 2022 fing ich an, mit Marty das Krallenschleifen zu üben. Jeden Tag nur ein paar Minuten. Es war mühsam. Zuerst habe ich ihn nur an das laufende Gerät gewöhnt und ihn dabei gekrault. Dann habe ich das Gerät seinen Pfoten angenähert und ihn weiter gekrault.

Nach einigen Monaten konnte ich den Krallenschleifer an eine Kralle halten, während ich weiter kraulte. Aber so kann man nicht vernünftig schleifen. Man braucht seine zweite Hand, um die Kralle festzuhalten, damit man mit dem Schleifgerät richtig arbeiten kann. Bis wir so weit waren und das in ersten Ansätzen klappte, vergingen weitere sechs Monate.

Wir übten fleißig jeden Tag weiter. Mal ging es besser, dann wieder schlechter. Es war tagesformabhängig, wie viel Marty mir erlaubt hat. Das Wichtigste beim Üben war, dass er jederzeit die Pfote wegziehen durfte, wenn er nicht mehr wollte. Nur dieses Prinzip hat es mir überhaupt ermöglicht, mit ihm so weit zu kommen. Und meine Geduld hat sich ausgezahlt.

Inzwischen darf ich jeden Tag mindestens zwei Krallen ein paar Sekunden schleifen. Manchmal sogar länger. Da wir weiter täglich üben, haben wir uns langsam vorgearbeitet und alle vier Pfoten einmal durch. Ich würde seine Krallen noch nicht als kurz bezeichnen, aber sie haben nun alle eine normale Länge und splittern auch nicht mehr. Das ist großartig. Ein Ziel, das lange Zeit in weiter Ferne zu sein schien, ist endlich erreicht.

Und es gibt noch einen weiteren Fortschritt: Marty hat entdeckt, dass es Spaß macht, einen Trick zu lernen. Zumindest zu Hause ohne Ablenkung. Und dass ihm nichts Schlimmes passiert, wenn er sich von meiner Hand (mit einem Käsestückchen darin) locken lässt und ihr hinterherläuft. Das ist für ihn ganz und gar nicht selbstverständlich. Das Prinzip, dass er etwas tun sollte, um seine geliebten Käsestückchen zu bekommen, erschloss sich ihm nicht. Er zog sich zurück und sah mich an, als wollte er sagen: „Mach doch deinen Kram alleine, dann ess ich eben keinen Käse.“ Und wenn ich ihn mit einem Leckerli locken wollte, bekam er direkt Panik.

Ich vermute, dass damals in Rumänien in so einer Situation sein Vertrauen missbraucht wurde. Dass er mit Futter gelockt und dann gepackt wurde, als er beispielsweise zum Tierarzt gebracht werden sollte. Solche „Einfangsituationen“, wenn man nach ihm greift, ihn festhält oder ihm den Weg versperrt, sind immer noch starke Angstauslöser bei ihm. Selbst das tägliche Anziehen des Geschirrs zum Spaziergang ist weiterhin schwierig, auch wenn das schon deutlich besser klappt als noch vor ein paar Monaten.

Inzwischen hat sich aber viel getan. Ich habe mit Marty immer mal wieder den Handtouch geübt. Das fand er zuerst total gruselig und hat auch nicht verstanden, was das soll. Warum sollte er die Hand mit der Nase berühren, obwohl da gar kein Futter drin ist? Er war sehr misstrauisch und schreckhaft.

Aber irgendwann machte es Klick bei ihm und er fand Spaß an der Übung. Und nun ist der Handtouch sein Lieblingstrick. Egal wo Marty gerade war, er kommt sofort fröhlich angehopst, wenn er das Signal „Touch“ hört, stupst meine Hand an und schaut mich erwartungsvoll an. Zumindest drinnen. Draußen sind die Ablenkungen oft noch zu groß. Aber wir arbeiten dran.

Und auch das Folgen der Hand mit dem Leckerli war irgendwann plötzlich gar nicht mehr so furchteinflößend. Inzwischen dreht er sich schon in beide Richtungen um seine eigene Körperachse und folgt meiner Hand in sein Hundebett und hinaus, aufs Sofa oder auf die Treppe, ohne Angst zu bekommen. Ich kann ihn auch mit der Hand an eine bestimmte Stelle führen, ihm ein kurzes „Bleib“ signalisieren und ihn dann mit dem Handtouch zu mir rufen. Diese kleine Übung bringt ihm riesigen Spaß.

Das alles eröffnet uns ganz neue, vielfältige Möglichkeiten und ich bin sehr gespannt, was uns die Zukunft noch so bringt. Vielleicht hat Marty ja doch irgendwann noch mal Lust, auch anspruchsvollere Tricks zu lernen. Erst einmal stehen aber der verlässliche Rückruf, das Bleiben in meiner Nähe und das An- und Ableinen ohne Panikattacken auf unserem Zettel, denn ich denke, Marty ist ein Hund, der sehr gut frei laufen könnte und der das wirklich genießen würde. Er hat kaum jagdliche Ambitionen (außer in Bezug auf Mäuse und Eichhörnchen) und achtet beim Spaziergang immer sehr auf mich. Und er möchte so gern rennen. Die paar Meter, die ihm unsere lange Leine an Freiraum bietet, sind eigentlich zu wenig für ihn. Mal sehen, ob ich ihm das nicht bald ermöglichen kann.

(Inga Jung, Januar 2023)

Podcast-Tipps

Ich wünsche euch allen ein frohes neues Jahr 2023!

Mit dem neuen Jahr möchte ich direkt auch mal eine neue Rubrik hier im Blog eröffnen. Bisher habe ich mich auf Buch-Tipps beschränkt, aber ein neueres und ganz phantastisches Medium darf nicht unerwähnt bleiben: die Podcasts.

Ich war bis vor etwa zwei Jahren gar nicht auf die Idee gekommen nachzuschauen, ob mein Musik-Streaming-Anbieter vielleicht auch Hunde-Podcasts im Repertoire hat. Aber als ich dann einmal gezielt nach einem Podcast gesucht hatte, der mir empfohlen worden war, bin ich fündig geworden. Und zwar richtig.

Podcasts sind wie gemacht für unsere Welt, in der man nie Zeit für irgendetwas hat, weil man sie ganz wunderbar nebenbei, z.B. bei der Hausarbeit oder beim Sport hören kann. Man ist also nicht untätig und bildet sich gleichzeitig weiter – oder lauscht einfach einem interessanten Gespräch. Perfekt!

Damit ihr wisst, welche Podcasts sich so richtig lohnen, habe ich euch mal meine Top 5 aufgelistet. Diese Liste wird bestimmt noch ergänzt, wenn ich weitere Entdeckungen gemacht habe. Meine aktuellen Highlights sind aber diese hier:

1. „Dog it right – Der Podcast für Hundemenschen“ Mein absoluter Favorit ist der Podcast von Uli Seumel und ihren Co-Trainerinnen der Hundeschule Dog it right. Er begann zunächst als Podcast zum Thema Hundebegegnungen, entwickelte sich dann aber rasant weiter und umfasst inzwischen so gut wie alle Themenbereiche, für die man sich als Mensch mit Hund interessieren könnte. Dabei ist es nie langweilig, sondern Uli und ihre Kolleginnen machen die Podcast-Folgen mit viel Humor und Witz immer wieder zu einem Erlebnis. Sie sind sich nicht zu schade, eigene Fehler zuzugeben und über sich selbst zu lachen. Das finde ich unheimlich charmant und liebenswert. Denn nichts ist anstrengender als einen Podcast zu hören, bei dem ständig mit erhobenem Zeigefinger von oben herab gepredigt wird. So etwas wird einem hier garantiert nicht passieren. Spaß ist bei Dog it right immer mit dabei.

2. „Hey-Fiffi.com“ – der Podcast von Sonja Meiburg-Baldioli. Auch bei der lieben Sonja merkt man, dass ihr die Arbeit mit Hunden und Menschen Spaß macht. Hey-Fiffi gibt es nicht nur als Podcast (das übrigens schon seit dem Jahr 2017), sondern Sonja produziert auch zahlreiche Videos, bei denen man eine Menge lernen kann. Ich persönlich höre lieber, weil man dann mehr nebenbei machen kann. Bei Hey-Fiffi kommen ebenfalls alle möglichen Themen zur Sprache, wobei sich Sonja in der Regel ganz ungezwungen mit ihren Gästen zum virtuellen „Küchengespräch“ bei einer Tasse Tee trifft. So finden lustige, spannende, interessante und manchmal auch nachdenklich stimmende Unterhaltungen statt. Und manchmal lernt man ganz überraschend durch einen kleinen Nebensatz noch etwas Neues oder entdeckt seine Faszination für ein Thema, das zunächst gar nicht so interessant zu sein schien. Ich freue mich über jede neue Folge und liebe Sonjas ungezwungene Art.

3. „Dog-Geeks Hundegesabbel“ mit Sylvia Schultze und Gerd Schreiber. Meist sind es nur Sylvia und Gerd, die hier über unser aller Lieblingsthema sabbeln. Manchmal sind aber auch spannende Gäste eingeladen wie z.B. Dr. Ute Blaschke-Berthold, Dagmar Spillner oder Sophie Strodtbeck. Wer Sylvia und Gerd zuhört, sollte Humor und Sinn für Sarkasmus mitbringen und nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen. Sie nehmen sich selbst nicht so ernst und erzählen lustige und kurzweilige Geschichten aus ihrem Alltag.  

4. „Oliver“ von Anja Püster. Diesen Podcast habe ich nur gefunden, weil ich nach den Namen einiger Gesprächspartner von Anja gesucht habe. Hätte ich nur den Titel gesehen, wäre ich vermutlich nie auf die Idee gekommen innezuhalten und mir die genaueren Inhalte anzuschauen. Aber es lohnt sich. Anja hat sich einen lockeren Mix ausgedacht, der durchaus reizvoll ist. In manchen Folgen geht es nur darum, wie man bestimmte Trainingsinhalte aufbaut und festigt, zum Beispiel den doppelten Rückruf oder Click für Blick. Natürlich positiv, bedürfnisorientiert und fair. Und in anderen Folgen, die Anja als Hunde-Plauderei oder Rasse-Plauderei betitelt, geht es um verschiedene Fragestellungen zum Leben mit Hund, um Erlebnisse und Erfahrungen und auch um die besonderen Eigenschaften mancher Hunderassen. Anjas Gäste sind dabei für mich wirklich etwas Besonderes, denn es sind jedes Mal aufs Neue tolle Leute dabei, die mit spannenden Themen und Einblicken begeistern. 

5. „Tiertraining.TV Podcast“ von und mit Pia Gröning. Auch Pia ist schon seit 2017 dabei, diesen tollen Podcast zu machen – mal alleine und mal mit unterschiedlichen Gästen. Tolle Trainer/innen wie Dagmar Spillner, Gerrit Stephan, Katrien Lismont, Maria Hense, Manuela Zaitz oder Aurea Verebes waren schon dabei. Es geht um Training (natürlich auch Pias besondere Steckenpferde Antijagdtraining und Ressourcenverteidigung), Gesundheit und viele verschiedene Aspekte des Lebens mit Hund. Leider hatte Pia in letzter Zeit eine längere Pause eingelegt, sodass ich ihren Podcast schon fast aus dem Blick verloren hatte. Im September und Oktober 2022 kamen dann aber doch wieder ein paar neue Folgen dazu und ich hoffe sehr, dass es auch in diesem Jahr weitergeht.

Wenn ihr ein Abo bei einem der großen Streaming-Anbieter habt, dann schaut doch mal, ob ihr die Podcasts dort findet. Ansonsten kann man sie aber auch im Netz über die Suchmaschine finden.

Ich wünsche euch ganz viel Spaß beim Hören und einen super Start ins neue Jahr!

(Inga Jung, Januar 2023)

Angst kann man sich nicht einfach abgewöhnen

Unser kleiner Marty hat sich zu einem lustigen jungen Hund entwickelt, der die meiste Zeit fröhlich und ausgeglichen ist. Er liebt Spaziergänge über alles, ist neugierig und offen, erkundet fremde Gegenstände und schnuppert gespannt den Wildspuren hinterher. Er legt für sein Leben gerne kurze Sprints ein, ist übermütig und lebensfroh.

Aber er hat immer noch große Angst vor fremden Menschen. Vor allem vor Männern. Vor Männern, die ein bestimmtes Aussehen haben. Vor fremden Menschen, die Interesse an ihm zeigen und ihn ansprechen. Und ganz besonders vor Besuchern hier in seinem sicheren Zuhause.

Unser Haus ist Martys Wohlfühlort, sein Rückzugsort. Hier kann er schlafen und sich entspannen. Hier kann er sich rekeln und sich den Bauch kraulen lassen. Wenn an diesen sicheren Ort plötzlich ein Besucher kommt, gerät Martys Welt ins Ungleichgewicht. Das Konzept „Besuch“ ist einem Hund wie Marty fremd. Er hat den Menschen schließlich nicht eingeladen, das waren wir. Wir haben einfach so beschlossen, dass der unser Haus betreten darf, und Marty kann nichts dagegen tun. Er ist dem völlig ausgeliefert.

Für einen Hund, der Angst vor Menschen hat, fühlt sich Besuch ähnlich an, wie es sich für uns anfühlt, wenn auf einmal ein Einbrecher mit gezogenem Messer im Raum steht. Der Hund fühlt sich bedroht, ausgeliefert, machtlos, in die Ecke gedrängt. Das Haus, das zuvor sein sicherer Rückzugsort war, wird auf einmal zur Falle, aus der es kein Entkommen gibt. Die Angst übernimmt die Kontrolle. Es ist kein Wunder, dass es in so einer Situation immer mal wieder zu Beißunfällen kommt.

Nun haben wir einen Kumpel, der uns seit einiger Zeit fast wöchentlich besucht. Wenn Marty nur seine Stimme hört, flippt er schon aus, weil er genau weiß, dass der bei uns ins Haus kommt. Und das ist für Marty der absolute Horror.

Um ihm den Stress möglichst zu nehmen, bleibt Marty während der Zeit, in der der Besuch bei uns ist, in meinem Arbeitszimmer. Dort hält er sich sehr gern auf. Er hat da sein Hundebett und einen Wassernapf, ein Kindergittter sorgt für Sicherheit, zusätzlich kann man natürlich auch die Tür schließen, und das Arbeitszimmer liegt in einer „Sackgasse“ unseres Flures, so dass dort niemand vorbeigeht. So kann Marty relativ ruhig und vor allem sicher abwarten, bis der Besuch wieder weg ist. Und wenn ich an dem Tag arbeiten muss, bin ich auch die ganze Zeit bei ihm. Das ist dann natürlich optimal für ihn.

Neulich machte unser Kumpel, dem es natürlich leidtut, dass Marty immer so einen Stress mit seinem Besuch hat, einen Vorschlag. Er fragte, ob Marty schon an einen Maulkorb gewöhnt sei. Denn dann könnte ich Marty doch einfach den Maulkorb aufsetzen und ihn im Haus laufen lassen. Er hatte nämlich, bevor wir das Kindergitter eingebaut hatten, schon die Erfahrung gemacht, dass Marty Scheinangriffe gegen ihn gestartet hatte, wenn er sich in der Nähe des Arbeitszimmers bewegte. Gebissen werden wollte er auf keinen Fall, aber mit dem Maulkorb war die Gefahr aus seiner Sicht gebannt und somit alles in Ordnung. Und er dachte, dann werde sich Marty schon an seine Anwesenheit gewöhnen und merken, dass ihm nichts getan wird.

Ich lachte, weil ich das für einen Witz hielt. Doch an seiner Reaktion merkte ich, dass er es durchaus ernst gemeint hatte, und das brachte mich zum Nachdenken, ob nicht ein Blog-Beitrag zu dem Thema angebracht wäre. Besagter Kumpel hat nämlich auch schon sein ganzes Leben lang Hunde und ist kein Neuling auf dem Gebiet. Dass er sich nicht vorstellen konnte, dass so ein Vorschlag im Grunde eine Anleitung zum Thema „Wie zerstöre ich möglichst schnell das Vertrauen meines Hundes“ ist, machte mich nachdenklich.

Warum bin ich dieser Meinung? Nun, ganz einfach. Die Zähne sind die einzige Waffe, die Marty gegen den Angstauslöser hat. Erinnern wir uns nur einmal an das Bild des Einbrechers, der mit gezogenem Messer vor uns steht. Haben wir selbst eine Waffe (und sei es nur die Bratpfanne), dann fühlen wir uns nicht ganz wehrlos. Wir haben vielleicht noch die Möglichkeit, den Eindringling mit viel Gebrüll aus dem Haus zu jagen. Sind hingegen unsere Hände gefesselt, dann ist das eine ganz andere Situation. Wir haben keine Möglichkeit mehr, dem Einbrecher irgendetwas entgegenzusetzen. Unsere Angst steigert sich ins Unermessliche.

Ich würde also, diesem Vorschlag folgend, Marty seine einzige Möglichkeit der Verteidigung nehmen. Das allein wäre vielleicht noch nicht dramatisch, wenn ich ihm trotzdem weiter beistehen würde. Aber das tue ich nicht. Ich setze ihn der bedrohlichen Situation aus und sage, so, jetzt sieh zu, wie du klarkommst. Arrangiere dich mit der Situation, eine andere Möglichkeit hast du nicht. Dein Rückzugsraum bietet dir keinen Schutz mehr, alle Türen im Haus sind offen, und der Besucher bewegt sich frei im Haus. Du kannst nichts dagegen tun, und weglaufen kannst du auch nicht. Und ich helfe dir nicht.

Was glaubt ihr wohl, was passieren wird? Wird Marty durch so eine Maßnahme seine Angst verlieren? Wird er merken, dass ihm nichts passiert, und sich an den Besucher gewöhnen?

Viel wahrscheinlicher ist doch, dass sich seine Angst ins Unermessliche steigert. Entweder wird er diesen Menschen, der ihm jetzt so bedrohlich erscheint, sein Leben lang als höchst gefährlich einstufen und bei der ersten Gelegenheit doch wieder angreifen. Oder er wird in die erlernte Hilflosigkeit fallen und sich seinem Schicksal ergeben, weil er weiß, dass es aus der Situation kein Entkommen gibt. Aber die Angst wird so oder so bleiben. Vor allem bei einem Hund, der so sensibel ist wie Marty und der ganz offensichtlich in seiner Jugendzeit traumatische Erlebnisse mit Männern hatte.

Aber soll Marty jetzt sein Leben lang im Arbeitszimmer bleiben, wenn Besuch da ist?  – Nein, das ist natürlich nicht gesagt.

Das Problem ist, dass die meisten Menschen einfach keine Geduld haben. Sie wollen Erfolge, und sie wollen sie schnell. Aber das Verändern von Gefühlen ist nun mal etwas, das nicht von heute auf morgen passiert. Das braucht Zeit und ein ganz langsames, schrittweises Vorgehen. Traumatisierte Menschen sind in der Regel viele Jahre lang in Therapie und brauchen sehr, sehr lang, bis sie sich den einschneidenden Erfahrungen in ihrer Vergangenheit überhaupt stellen können. Und ein traumatisierter Hund, der noch viel weniger zur Selbstreflexion fähig ist als ein Mensch, der soll das von heute auf morgen können? Ist das nicht ein bisschen viel verlangt?

Ich treffe häufig auf dem Spaziergang Männer, die Marty niedlich finden und ihn zu sich locken wollen. Wenn ich dann sage, dass er nicht zu ihnen gehen wird, weil er Angst hat, scheint das unerklärlicherweise bei vielen einen plötzlichen Ehrgeiz zu wecken. Da kommen dann Sprüche wie: „Ha, das ist eine Sache von fünf Minuten. Ich bring dann mal Futter mit, und dann kommt der sofort.“ Ja, sicher. Träum weiter.

Was ist das für eine Profilierungssucht, die viele Männer haben? Gibt ihnen das einen Kick, wenn sie von sich behaupten, sie seien die Hundeflüsterer, die den ängstlichen Hosenschisser aus Rumänien bekehrt haben? Das sind wohlgemerkt wildfremde Leute, die ich vorher noch nie gesehen hatte und die auch gar nichts mit uns zu tun haben. Ich finde so ein Verhalten absolut anmaßend. Schließlich kennen sie weder mich noch Marty und wissen überhaupt nichts über uns.

Genausowenig wie diese besserwisserische Frau, die vor einem Jahr, als Marty noch Angst vor einer recht belebten Straßenecke im Nachbardorf hatte (die übrigens schon wenige Wochen später überhaupt kein Problem mehr darstellte), im Stechschritt auf uns zugestampft kam und mir in bestimmendem Tonfall erklärte, ich würde die Angst meines Hundes verstärken, wenn ich ihn streichele. Voller Überzeugung warf sie mir all diese alten, längst von der Wissenschaft widerlegten Kamellen an den Kopf und dachte offenbar ernsthaft, sie würde damit ein gutes Werk tun. Was sie dagegen tat, war, Marty durch ihr forsches Auftreten zu verunsichern, mich zu verärgern und uns das Training für diesen Tag komplett zu zerstören. Denn ich war nach der Begegnung so sauer, dass ich unmöglich noch weiter Ruhe und Sicherheit ausstrahlen konnte.

Warum ich das jetzt auch alles erwähne? Ich möchte mit diesem Blog-Beitrag darauf aufmerksam machen, wie leicht es ist, sich von Außenstehenden dazu überreden zu lassen, ganz gewaltige Fehler zu machen. Ich bin froh, dass ich meine Ausbildung habe, dass ich dank meines ganzen Vorwissens weiß, was ich tue. Dass ich weiß, was meinem Hund hilft und was ihm schadet. Dass ich weiß, wie ich ihn vor der Welt beschütze und wie ich sein Vertrauen in mich stärke.

Aber nicht jeder Mensch, der einen ängstlichen Hund an seiner Seite hat, hat diesen Erfahrungshintergrund und das theoretische Wissen. Dann lässt man sich schnell verunsichern und hört auf die Tipps von Menschen, die sich selbst darstellen, als seien sie die absoluten Profis und wüssten genau, wovon sie reden. Statt auf sein Bauchgefühl zu hören, denkt man dann über die vermeintlich stichhaltigen Argumente nach und tut Dinge, die man später bereut.

Ich kann immer nur an jeden appellieren sich zu überlegen, wie es einem selbst in der Situation gehen würde, in der der Hund gerade ist. Die Perspektive des Hundes einzunehmen (auch im wahrsten Sinne des Wortes, denn die meisten Hunde sind viel näher am Boden als wir, und von dort sieht die Welt ganz anders aus). Stellt euch vor, ihr selbst hättet panische Angst vor dieser einen Sache, vor der euer Hund Angst hat. Was würde euch in der Situation helfen? Und was nicht? Was lässt die Angst weniger werden und was macht sie größer?

Empathie und Bauchgefühl sind so wichtig für unser Zusammenleben mit dem Hund. Wenn euch irgendwer zum Beispiel sagt, ihr sollt die Angst eures Hundes ignorieren, dann fragt euch: Wenn ich mein Hund wäre, würde mir das dann helfen? Oder würde ich mich dadurch eher alleingelassen fühlen?

Oft ist es ganz einfach, die richtigen Antworten zu finden, wenn man sich nur in die Gefühlswelt des Hundes hineinversetzt und überlegt, was ihm helfen würde, eine Situation positiver zu erleben. Denn so unterschiedlich ist das Gefühlsleben von Hund und Mensch gar nicht. Deswegen lieben wir einander schließlich so sehr.

Übrigens hat Marty neulich einen großen Fortschritt gemacht, davon möchte ich abschließend noch erzählen. Ich habe vor ein paar Tagen durch Zufall auf einem Waldparkplatz in unserer Nähe eine befreundete Hundetrainerin getroffen. Wir hatten unsere Hunde, bis auf Marty, schon in die Autos geladen, standen mit einigen Metern Abstand zueinander und unterhielten uns. Nach einer Weile schlenderte Marty wie zufällig vorsichtig im Bogen auf sie zu und schaute sie aufmerksam an. Da ich wusste, dass von dieser Person ganz bestimmt keine unbedachte Reaktion kommt, die Marty verunsichern würde, ließ ich ihn gewähren.

Zum Hintergrund müsst ihr wissen, dass ich von Anfang an hin und wieder mit Marty und einer Freundin mit ihrem Hund zusammen spazieren gegangen bin. Marty kennt es, dass besagte Freundin immer bessere Leckerlis hat als ich, und dass sie diese auch großzügig verteilt. Und offenbar hat er sich überlegt, dass diese neue Frau vielleicht auch gute Leckerlis hat. So hat er sich ein Herz gefasst und sich ihr ganz allein angenähert. Ohne dass ich mitging. Das war so großartig. Und da es sich um eine Hundetrainerin handelte, die mit positiver Verstärkung arbeitet, hatte er das unfassbare Glück, dass sie tatsächlich tolle Leckerlis in der Tasche hatte und Marty groß abstauben konnte. Wie wunderbar!

Nach diesem tollen Erfolgserlebnis mit einer für ihn wildfremden Frau kam Marty wieder glücklich auf mich zugehopst und wollte erst mal kuscheln. Ich war so stolz auf meinen Kleinen.

Ich denke, mit meiner Freundin kann ich nach einem gemeinsamen Spaziergang auch schon mit dem Besuchertraining anfangen. Wenn sie mit in unser Haus kommt, wird er sicher wenig Unsicherheit zeigen. Und darauf aufbauend könnten wir dann mit weiteren Frauen üben. Dumm nur, dass sich dafür immer jemand die Zeit nehmen und zu uns rausfahren muss. Mal sehen, wie oft sich solche Gelegenheiten bieten. Wenn wir das ab und an wiederholen, werden Frauen sicher bald kein Problem mehr sein. Bei Männern bin ich noch nicht so optimistisch. Aber wir haben ja noch viele gemeinsame Jahre Zeit. Nur Geduld, das wird schon.

Inga Jung (Juni 2022)

Kleiner Hund gegen den Rest der Welt

Unser kleiner Marty hat seit ein paar Monaten eine neue Strategie entdeckt: das aktive Vertreiben seiner Angstauslöser.

Und wer kennt das nicht, gerade jetzt, wo wieder ein Krieg in Europa tobt und wir uns alle Sorgen um die Zukunft machen: Das Schlimmste, was uns im Angesicht eines Angstauslösers passieren kann, ist Hilflosigkeit. Wir möchten etwas tun, wir möchten aktiv werden, wir möchten den Angstauslöser vertreiben, damit er weggeht und wir uns wieder sicher fühlen können.

Genau das tut Marty, wie so viele andere Hunde auch: Ein Auto kommt angefahren, es fährt am Gartenzaun vorbei, Marty stürzt bellend an den Zaun, und das Auto entfernt sich wieder. Marty hat es aktiv vertrieben und fühlt sich groß und stark. Ziel erreicht. Ein absolut selbstbelohnendes Verhalten.

Dabei ist es interessant zu sehen, wer angebellt wird. Es sind nur Autos und Transporter, aus denen (vom Typ her) schon mal Menschen ausgestiegen sind und bei uns geklingelt haben. Also Post- und Paketboten, Handwerker oder Besucher. Das gelbe Postauto ist dabei Martys ganz persönlicher Erzfeind, weil das wirklich jeden Tag auftaucht und bei ihm immer wieder die Angst auslöst, dass der böse Postbote womöglich ins Haus kommt. Auf dieses Auto geht er sogar wie ein Irrer los, wenn es uns auf dem Spaziergang begegnet, was er bei anderen Autos nicht tut. Fremde Menschen, die möglicherweise in sein sicheres Zuhause kommen könnten, sind Martys absoluter Alptraum.

Es werden keine Trecker und keine LKW angebellt. Menschen in Treckern und LKW sind ungefährlich, die haben uns noch nie besucht.

Es werden auch keine Spaziergänger mit Hund angebellt, es sei denn, die Menschen gehen sehr nahe an den Zaun, schauen Marty direkt an oder sprechen ihn an. Gegen Hunde hat er nichts. Selbst wenn die ihn anbellen, schaut er nur und bellt nicht zurück. Und er ist auch überhaupt nicht territorial veranlagt, es geht ihm nicht um den Schutz von Haus und Garten, es geht ihm nur um Selbstschutz.

Es sind die Menschen, die er auf Abstand halten möchte. Menschen findet er einfach gruselig. Männer noch mehr als Frauen.

Und ich kann es ihm nicht verdenken, er hat schließlich Recht. Das einzige Tier auf diesem Planeten, das absichtlich grausam ist, ist der Mensch. In Bezug auf dieses Verhalten hat unsere Spezies ein absolutes Monopol. Der aktuelle Krieg in Osteuropa bestätigt das gerade mal wieder auf besonders deutliche Weise. Also was soll ich Marty erzählen? Dass alle Menschen nett sind? Sind sie nicht. Seine Ängste sind nicht unbegründet.

Natürlich finde ich die Kläfferei nicht gut, zumal sich Marty dabei auch im Haus manchmal richtig in Stress kläfft, immer mehr auf Geräusche von draußen lauscht und aus dem Fenster schauend regelrecht nach auffälligen Bewegungen sucht. Vor allem wenn es ihm körperlich nicht so gut geht, er Bauchweh hat oder irgendwelche anderen Befindlichkeiten, reagiert er immer sensibler. Dann muss ich manchmal alle Fenster schließen, Rollos runterziehen und Hintergrundmusik anmachen, um ihn von den Reizen, die ihn gerade so überfordern, abzuschirmen. Erst dann kommt er wieder zur Ruhe.

Was hilft, ist Sonne. Wenn die Hunde hier den ganzen Vormittag entspannt in der Sonne gelegen haben, ist Martys Bedürfnis, sich über vorbeifahrende Autos aufzuregen, sehr gering. Er ist dann so ausgeglichen, dass es schon starker Reize wie Stimmen direkt vor der Tür oder das Klappern des Briefkastens bedarf, um ihn aus der Reserve zu locken.

Ich tue viel, damit die Hunde – vor allem Marty – ausreichend Schlaf und Entspannung bekommen. Das ist enorm wichtig für das innere Gleichgewicht. Außerdem haben für Marty zumindest bei schönem Wetter seine Spaziergänge mit viel Zeit zum Schnüffeln und Beobachten einen hohen Stellenwert. Bei Regenwetter haben beide Hunde oft den Spaziergang verweigert, daher war die Kläfferei im Februar, als es wochenlang nur regnete, auch besonders schlimm, während sie sich jetzt im März, nachdem nun schon seit drei Wochen fast durchgehend die Sonne scheint, stark reduziert hat. Solche Einflüsse darf man einfach nicht unterschätzen, das Allgemeinbefinden der betroffenen Hunde ist bei solchen Problemen essenziell.

Wie trainiere ich nun mit Marty und wie bringe ich ihm ein passendes Alternativverhalten bei?

Tja, das ist nicht so einfach, weil er überhaupt nicht über Futter oder Spiel zu motivieren ist. Selbst wenn er ganz entspannt ist und keine Angst hat, interessieren ihn Futter und Spielzeug wenig. Das Einzige, was bei ihm hilft, ist Körperkontakt, ruhiges Ausstreichen über den Rücken und Ansprache mit ruhiger Stimme. So kann ich ihn hier im Haus immer sehr schnell wieder erden. Und aus dem Garten kommt er auf Rückruf zuverlässig wieder zurück ins Haus, auch wenn er gerade am Bellen ist. Das sind momentan die einzigen Ansätze, die wirklich helfen. Ich muss nur schnell sein, denn je länger er bellt, desto mehr übt er natürlich dieses Verhalten als Strategie ein. Da muss ich noch an mir arbeiten, in solchen Momentan wirklich alles stehen und liegen zu lassen, egal was ich gerade mache.

Am besten wäre es natürlich, vorausschauend bei jedem potenziell aufregenden Geräusch zu Marty zu gehen und ihn zu streicheln, damit er gar nicht erst anfängt zu bellen. Aber das klappt im Alltag natürlich nur selten, weil ich die Auslöser meist nicht vorhersehen kann.

Sichere Rückzugsorte, an denen Marty sich wohl fühlt, haben wir mehrere im Haus, aber er ist noch zu unsicher, um wirklich darauf vertrauen zu können, dass ihm dort auf keinen Fall etwas passieren wird, falls fremde Menschen hier hereinkommen sollten.

Wenn tatsächlich mal jemand zu Besuch kommt, was aktuell schon allein wegen der Pandemie sehr selten passiert, dann hat Marty ein festes Zimmer mit seinem Hundebett und allem, was er braucht, zu dem Besucher keinen Zutritt haben. Und auch sonst setze ich im Alltag natürlich viel Management ein. Gehen wir zum Beispiel an fremden Menschen vorbei, gehe ich zwischen Marty und den Menschen, damit er so viel Abstand bekommt wie er braucht. Er wird auf keinen Fall zur Kontaktaufnahme gezwungen und darf für ihn unheimliche Situationen in Ruhe mit ausreichend Abstand beobachten.

Das alles kenne ich schon von meinen ersten Jahren mit Luzi, die anfangs auch große Probleme mit fremden Menschen hatte. Das ist nicht wirklich neu für mich. Nur hatte ich damals den Luxus, dass Luzi in diesen Situationen Futter annehmen konnte und ich dadurch schneller eine positive Verknüpfung herstellen und gleichzeitig gutes Verhalten belohnen konnte.  

Mein Traum wäre, dass Marty vielleicht irgendwann auch im Angesicht fremder Menschen ein paar Käsewürfel (das einzige Leckerli, das er wirklich gern mag) annehmen kann und das dann auch als Belohnung empfindet. Das würde uns deutlich mehr Möglichkeiten im Training eröffnen. Aber das wird wohl noch eine ganze Weile dauern.

(Inga Jung, März 2022)

„Warum lobst du ihn jetzt auch noch dafür, dass er mich angeknurrt hat?“

Ich habe ja bereits erzählt, dass im Mai der kleine Marty aus Rumänien bei uns eingezogen ist. Marty hat inzwischen eine großartige Entwicklung durchgemacht. Er läuft auf Spaziergängen freudig voraus, spielt und ist albern, kuschelt mit mir auf dem Sofa und hat sich problemlos in meinen Alltag integriert. Er hat auch glücklicherweise keine Reisekrankheiten aus seinem Geburtsland mitgebracht, beide Tests waren negativ. So steht einem langen, glücklichen Hundeleben nun nichts mehr im Wege. Naja, fast nichts, denn Marty hat leider immer noch ein Problem: meinen Mann.

Ich bin sonst nicht so, dass ich bei Hunden aus dem Ausland sofort ein Trauma vermute, aber bei Marty gibt es zahlreiche deutliche Hinweise darauf, dass er während der fast eineinhalb Jahre in dem rumänischen Tierheim mit Männern vermutlich auch schmerzhafte, aber auf jeden Fall enorm furchteinflößende Erfahrungen gemacht hat. Und so ist auch seine Beziehung zu meinem Mann von tiefem Misstrauen geprägt. Auch noch nach inzwischen fast sechs Monaten bei uns. Er ist zwar inzwischen so entspannt, dass er auf die Couch springt, wenn mein Mann dort sitzt – das ist durchaus ein großer Fortschritt –, aber er bleibt dann mit viel Abstand in seiner Ecke. Anfassen lässt er sich von meinem Mann nicht und wenn der sich in seine Richtung bewegt, bekommt er Angst und läuft weg.

Nun haben wir vor zwei Wochen den Toni dazu adoptiert, einen kleinen Spanier mit einem sonnigen Gemüt. Toni ist der lebende Beweis dafür, dass Hunde aus dem Tierschutz ganz und gar nicht immer schwierig sind. Toni liebt alle Menschen und ist auch allen anderen Hunden gegenüber aufgeschlossen. Wenn er nicht gerade auf der Couch auf einem Haufen Decken und Kissen liegt und schläft, dann ist er am Dauerwedeln, immer mittendrin im Geschehen und für jeden Spaß zu haben. Da er sehr verfressen ist, tut er alles für ein paar Leckerlis und ist dadurch absolut unkompliziert zu lenken.

Marty und Toni verstehen sich wunderbar. Es gibt nur eine Sache, bei der es noch hakt: Mein Mann spielt gern mit Toni, weil er das mit Marty ja nicht machen kann. Und Toni bellt häufig als Aufforderung, im Spiel oder wenn er etwas haben möchte. Marty dagegen sieht nur, dass Toni bellt, während der „böse Mann“ ihm sehr nahe ist. Da gehen bei Marty alle Alarmglocken an. Achtung, der Mann bedroht Toni, der macht gerade etwas Schlimmes. Wahrscheinlich tut er mir auch gleich etwas an, ich hab’s doch gewusst … Und Marty stürzt sich knurrend mit aufgestellten Nackenhaaren auf meinen Mann.

Das Einzige, was ich in dieser Situation tun kann und darf, ist, Marty aus dieser negativen Emotionslage herauszuholen, aufzufangen und zu beruhigen. Ich streichele ihn und rede ruhig mit ihm, um ihn wieder ansprechbar zu machen. Und ich merke, wie sehr er das braucht. Er versteckt dann seinen Kopf in meiner Armbeuge und wimmert richtig vor sich hin.

Hätte ich geschimpft, wäre Martys Angst ins Unermessliche gestiegen, denn dann hätte ich als seine einzige Vertrauensperson mich auch noch gegen ihn gewendet. Kleiner Hund ganz allein auf der Welt, oh mein Gott … Wer weiß, vielleicht hätte er dann noch heftiger reagiert, oder er wäre in sich zusammengebrochen. Aber ich hätte die Lage auf gar keinen Fall verbessert.

Mein Mann versteht das nicht. Er schaut sich das an, schüttelt mit dem Kopf und meint: „Warum lobst du ihn jetzt auch noch dafür, dass er mich angeknurrt hat?“ Dabei muss man doch überlegen, was die Ursache für Martys Verhalten war. Er verhält sich nicht so, weil er schlicht aggressiv ist oder Ressourcen verteidigen will, sondern weil er Angst hat. Und Angst kann man nicht loben, das geht schlichtweg nicht. Wenn ich Angst habe und jemand tut mir etwas Gutes (das ich auch als etwas Gutes empfinde), dann wird meine Angst nicht stärker, sondern geringer werden, weil ich mich wohler fühle. Es ist also kein Lob, sondern einfach eine Beruhigung Martys heftiger Emotionen. Ein seelisches Auffangen.

Natürlich fände ich es auch schöner, wenn Marty meinen Mann endlich nicht mehr so bedrohlich finden würde. Aber das lässt sich nicht so einfach wegwünschen. Und die als bedrohlich empfundene Person muss sich auch Mühe geben, möglichst keine negativen Emotionen auszustrahlen. Das wiederum ist noch viel schwieriger.

Früher war ich jahrelang von Menschen um Hilfe in solchen oder anderen Situationen mit ihren Hunden gebeten worden, und sie haben versucht, meine Tipps umzusetzen. Wenn ich aber meinem Mann rate, sein Verhalten in der einen oder anderen Situation anzupassen, ist er beleidigt und meint, er wüsste schon, was er tue. Und diese beleidigte, genervte Haltung findet Marty dann wiederum bedrohlich, also sage ich lieber nichts, um es nicht noch schlimmer zu machen. Wie das eben so ist – Szenen einer Ehe.

Momentan versuchen wir möglichst zu vermeiden, dass Toni meinen Mann anbellt und dadurch solche kritischen Situationen entstehen. Das bedeutet, dass wir Toni immer wieder seine geliebten Kongs, auf denen er so gern herumkaut, sie in die Luft wirft und wieder auffängt, wegnehmen müssen. Management als Prävention.

Ich hoffe sehr, dass Marty nach und nach zu vertrauen lernt. Hoffnung gegeben haben mir Freunde, die zwei unsichere Hunde aus dem Ausland aufgenommen haben und meinten, dass beide Hunde ein Jahr gebraucht hätten, bis sie mit dem Mann im Haus einen entspannten Umgang pflegen konnten. Wenn es bei uns auch so lange dauert, dann haben wir ja noch ein paar Monate Zeit. Aber es ist natürlich auch wichtig, dass wir schwierige Situationen möglichst gar nicht erst entstehen lassen bzw. sie schnell entschärfen, wenn sie sich denn nicht vermeiden ließen.

Marty hat in der Zeit, in der er bei uns ist, schon so viel gelernt und so viel Mut bewiesen. Ich bin mir sicher, dass er auch das noch lernen kann. Sofern sich beide Seiten Mühe geben.

(Inga Jung, Oktober 2021)

Buchtipp: „Anti-Giftköder-Training“

Jeder kennt diese Situation: Da hat man noch so gut und geduldig das Ausgeben und Tauschen mit seinem Hund trainiert, und in einer ruhigen Situation klappt das auch ganz wunderbar. Aber wenn der Hund auf dem Spaziergang plötzlich etwas unfassbar Ekliges im Maul hat, dann ist das etwas ganz Anderes. Auf einmal rennt man hysterisch „Aus!“ kreischend auf den Hund zu – und was macht der natürlich? Klar, vor lauter Schreck vergisst er alles Training, bringt sich schnell mit seinem Leckerbissen in Sicherheit und schluckt ihn herunter.

In so einem Moment wird jedem Hundemenschen klar, dass ihm und seinem Hund noch etwas fehlt, nämlich ein vernünftiges Training, um solchen Situationen vorzubeugen. Damit Hasso sein ekelhaftes Fundstück gar nicht erst ins Maul nimmt, sondern schon vorher stoppt und anzeigt, dass da etwas liegt. Wäre das nicht ein Traum? Absolut! Und er ist gar nicht so unerreichbar, wie man denken mag.

Das Buch „Anti-Giftköder-Training. Übungsprogramm für Staubsauger-Hunde“ hält, was es verspricht. Viel gehört hatte ich bereits von diesem Buch. Nun wollte ich es auch selbst einmal lesen. Und ich wurde nicht enttäuscht.

Sonja Meiburg zeigt in diesem Buch genau auf, wie man Schritt für Schritt vorgeht, um den Traum von dem Hund, der sich vor dem auf der Straße gefundenen Wurstbrot brav hinsetzt, ohne es anzurühren, zu verwirklichen. Und das ganz ohne Zwang und voller Begeisterung.

Natürlich geht das nicht über Nacht und schon gar nicht ohne Arbeit, das sollte jedem klar sein. Aber gerade für Hunde, die in Gegenden leben, in denen öfter Giftköder ausgelegt werden, kann dieses Training lebenswichtig sein. Ebenso für Futtermittelallergiker. Und empfehlenswert ist es im Grunde für jeden, denn nicht alles, was Fiffi auf der Straße und im Wald findet, ist auch gut für ihn.

Ich kann Sonja nur zu diesem wunderbaren Buch gratulieren. Es ist ein Trainings-Leitfaden, in dem man jeden Tag noch mal nachblättern und dem man in seinem eigenen Tempo folgen kann. Einen zusätzlichen Trainer braucht man eigentlich nur, wenn man sich mit dem richtigen Timing nicht sicher ist, denn das ist natürlich das A und O, damit der Hund begreift, was man von ihm möchte.

Ansonsten kann ich nur sagen: Viel Spaß beim Anti-Giftköder-Training. Und immer schön üben, üben, üben!

(Inga Jung, Oktober 2018)

 

 

„Du bist zu nett zu deinem Hund“

Wenn ich sehe, dass Menschen ihren Hund scharf zurechtweisen, spreche ich sie darauf an und bekomme dann hin und wieder zu hören, dass Hundetrainer ihnen gesagt haben, sie seien „zu nett“ zu ihrem Hund. Sie versuchen diesen „Makel“ dann zu beseitigen, indem sie besonders unfreundlich und streng mit ihrem Hund umgehen.

Wieder einmal finde ich es unfassbar, was Hundetrainer mit ihren Bemerkungen so alles anrichten können, und mindestens ebenso unglaublich finde ich es, dass Menschen diesen Ratschlägen völlig gedankenlos und ohne Emotionen folgen, anstatt auf ihr Bauchgefühl zu achten.

Dabei ist so ein Spruch einfach nur unsinnig. Man kann überhaupt nicht zu nett zu seinem Hund sein. Hunde sind großartig, aufrichtig und liebenswert. Jeder Hund – selbst ein Hund wie meine verrückte Luzi, die mir regelmäßig mit ihren lautstarken Gefühlsausbrüchen den letzten Nerv raubt – hat es verdient, immer und jederzeit von seinem Menschen nett behandelt zu werden.

Was vermutlich mit dem Satz gemeint ist, ist etwas ganz anderes, nämlich „du bist nicht konsequent“. Das ist aber überhaupt nicht miteinander vergleichbar.

Inkonsequentes Handeln verwirrt Hunde. Ist etwas heute erlaubt, morgen verboten und übermorgen wird der Hund sogar aktiv dazu aufgefordert, dann folgert der Hund daraus, dass sein Mensch offenbar selbst nicht weiß, was er will. Und dann macht der Hund eben das, was er selbst möchte. Das ist in der Beziehung zwischen Eltern und Kindern im Übrigen nicht anders. Das weiß ich sehr genau, denn ich war auch so ein Kind.

Mangelnde Freundlichkeit hingegen zerstört einfach nur die Vertrauensbasis zwischen Mensch und Hund. Nichts weiter. Ruppige Behandlung schafft Unsicherheiten und ein emotionales Ungleichgewicht. Das Einzige, was man damit erreicht, ist ein unglücklicher Hund. Und auch das kann man auf das Verhältnis zwischen Eltern und ihren Kindern problemlos übertragen.

Konsequent und gleichzeitig nett zu sein ist gar nicht schwer. Ich muss nur gewisse Regeln aufstellen und mich dann in erster Linie selbst daran halten. Nehmen wir mal ein Beispiel: Mein Hund soll nicht mit ins Bett. Nun bin ich aber krank oder mein Partner ist für ein paar Wochen nicht da, ich liege im Bett und fühle mich elend und einsam. Mein Hund sitzt vor mir und schaut mich an. Was mache ich? Na klar, ich hole meinen Hund zu mir ins Bett und wir kuscheln.

Das kann man machen, solange man sich der Tatsache bewusst ist, dass man in dem Moment seine eigene Regel gebrochen hat und von seinem Hund keinesfalls erwarten darf, dass er von nun an nie wieder ins Bett möchte. Dem Hund ist es natürlich völlig egal, dass in zwei Wochen sein Mensch wieder gesund ist und dessen Partner wieder seinen Platz im Bett beansprucht. Der Hund sieht nur, dass diese bisher immer aktive Regel nun aufgehoben wurde.

Konsequent zu sein bedeutet also in erster Linie, sich selbst im Blick zu haben und sich seiner eigenen Taten bewusst zu sein. Wenn ich dies jetzt tue, dann fasst mein Hund das soundso auf. Möchte ich das? Kann ich damit leben, dass sich unser Zusammenleben dadurch ändert und in Zukunft andere Regeln gelten? Oder möchte ich das nicht? Dann sollte ich mich nun tunlichst zusammenreißen und diese Regel nicht brechen.

Hunde sind sehr konsequent. Sie sind kooperativ und halten sich an einmal gelernte Regeln. Das ist eine wichtige Basis für ein stressfreies Zusammenleben im sozialen Verband. Aber im Gegenzug müssen wir fair sein und uns ebenso daran halten. Wenn wir die Regeln auflockern, dann dürfen wir von unseren Hunden nicht erwarten, dass sie sie weiterhin einhalten. Gleiches Recht für alle. So läuft das in einer Familie.

Und selbstverständlich funktioniert auch das Erlernen der Regeln ganz wunderbar mit viel Lob, Spiel und Spaß. Strafe ist gar nicht notwendig, denn jeder Hund, der neu in einen Haushalt kommt, versucht als Erstes herauszufinden, welche Regeln hier gelten. Er will und muss das wissen, damit er sich richtig verhalten und sich gut in die Familie einfügen kann. Wenn wir ihm auf liebevolle Weise beibringen, wie das Zusammenleben mit uns funktioniert, dann stärken wir gleichzeitig die wichtigste Basis für Alltag, Spiel und Training: Vertrauen.

Und jederzeit nett zu seinem Hund zu sein, das gehört selbstverständlich dazu.

(Inga Jung, Mai 2018)

 

 

 

 

„Protestpinkeln“

Ich bekomme hin und wieder Anrufe von Menschen, deren Hund unsauber ist. Die Hunde setzen Kot oder Urin ausschließlich oder ab und zu in der Wohnung ab – manchmal sogar auf dem Sofa oder dem Bett der Bezugsperson.

Sehr schnell heißt es dann aus dem Bekanntenkreis und – was ich persönlich besonders erschreckend finde – sogar aus dem Mund des behandelnden Tierarztes, der es eigentlich besser wissen sollte: „Das macht der Hund aus Protest, er ist aufmüpfig, er will euch heimzahlen, dass ihr ihn für eine Stunde allein gelassen habt …“

Dies aber ist eine absolut menschliche Sichtweise. Nur Primaten, die wir alle schließlich sind, kommen auf die Idee, aus Protest irgendwo Kot abzusetzen – die Steigerung dessen wäre noch, damit zu werfen, was einige unserer Verwandten in Zoos manchmal auch tun.

Nein, lösen wir uns von diesem menschlichen Denken und versetzen wir uns in die Psyche des Hundes. Einem Hund ist es grundsätzlich zuwider, seinen engeren Lebensraum zu verschmutzen. Wenn er es irgendwie vermeiden kann, wird ein Hund nicht die eigene Wohnung verunreinigen. Viele Hunde nutzen dafür noch nicht einmal den eigenen Garten, selbst wenn der Besitzer dies gern hätte, weil sie das als unhygienisch empfinden. Hunde sind sehr darauf bedacht, vor allem ihren Kot an Stellen zu platzieren, die nicht zum Wohnbereich gehören. Es sei denn, sie können nicht anders.

Das heißt: Wenn wir einen Hund vor uns haben, der die Wohnung beschmutzt, dann müssen wir uns nicht fragen, wen er damit ärgern will, sondern wir müssen uns fragen, warum er nicht anders kann.

Als Erstes heißt es hier, organische Ursachen auszuschließen. Denn wenn ein Hund inkontinent ist, kann er den Urin einfach nicht halten und wird diesen überall in der Wohnung verlieren. Da hilft das beste Training nichts. Es gibt auch Erkrankungen, die die Funktionalität des Schließmuskels einschränken, in dem Fall wird der Hund unkontrolliert Kot verlieren. Hat man dann einen Tierarzt wie den oben erwähnten, der einen grinsend mit dem Hinweis auf „Protestkacken“ wieder nach Hause schickt (alles schon bei Kunden erlebt), dann gibt es nur eines, was man tun kann: dringend den Tierarztwechseln!

Sind organische Ursachen ausgeschlossen, dann müssen wir uns die Psyche des Hundes ansehen. Viele Hunde, die unsauber sind, haben Angst, sich draußen zu erleichtern. Oder sie sind draußen zu aufgeregt und abgelenkt. Oder beides.

Vor allem wenn der Hund sich auf dem Bett oder dem Lieblingsplatz seiner Bezugsperson erleichtert, ist das ein starkes Indiz dafür, dass er nach Sicherheit und Geborgenheit sucht. Das ist ein Hilferuf und muss von uns als solcher erkannt werden.

Denn man muss sich vor Augen halten, dass ein Hund gerade im Moment des Kotabsetzens sehr angreifbar ist. Daher wird er das nur tun, wenn er sich sicher fühlt. Viele Hunde, die aus schlechten Verhältnissen stammen, zeigen diese Probleme. Ist ein geschlossener Garten vorhanden, gehen sie meist dorthin. Ist dies aber nicht der Fall, dann fühlen sie sich gezwungen, dies in der Wohnung zu erledigen. Auch für die Hunde ist dies sehr belastend, denn sie möchten eigentlich nicht ihren Wohnbereich verschmutzen. Strafe wäre absolut unangebracht und kontraproduktiv. Stattdessen gilt es herauszufinden, warum der Hund sein Geschäft nicht draußen erledigen kann, und ihm zu helfen.

Und als Letztes gibt es natürlich noch den Rüden, der in der Nachbarschaft von läufigen Hündinnen umgeben ist und so von Hormonen überquillt, dass er anfängt, in der Wohnung zu markieren. Auch das kommt selbstverständlich vor.

Ebenso ist es nicht ungewöhnlich, wenn ein Rüde, der die Wohnung einer Hündin betritt, dort markiert. Oder eine ältere Hündin, die die Wohnung einer jüngeren Hündin betritt.

Das Markierverhalten fällt allerdings nicht in den Bereich Unsauberkeit, sondern das ist Normalverhalten, welches man durch ein bisschen eigene Aufmerksamkeit gut in den Griff bekommt.

(Inga Jung, verfasst Ende November 2013)

 

 

Buchtipp: „Hab keine Angst, mein Hund“

Neulich habe ich das Buch „Hab keine Angst, mein Hund. Ängste bei Hunden erkennen und abbauen“ von Rolf C. Franck und Madeleine Grauss (inzwischen Madeleine Franck) wiederentdeckt. Das Buch ist aus dem Jahr 2008 und somit schon etwas älter, aber immer noch absolut aktuell und wirklich empfehlenswert.

Zu Beginn gehen Rolf und Madeleine auf den biologischen Sinn von Ängsten und auf ihre Entstehung ein. Sie beschreiben, was enorm wichtig ist, dass Angst immer mit Erregung einhergeht. Und je stärker die Erregung ist, desto heftiger die Angst. Und desto schwieriger ist es, den Hund noch zu erreichen. Das heißt, an der Angst muss immer in den Situationen gearbeitet werden, in denen die Erregung des Hundes noch nicht so stark ist, in denen er noch ansprechbar ist. Versucht er schon zu fliehen oder anzugreifen, dann ist die Angst zu heftig und keine Arbeit an dem Verhalten mehr möglich.

Es wird gezeigt, was man auf keinen Fall tun sollte, zum Beispiel die Angst des Hundes ignorieren oder ihn zwingen, sich dem Angstauslöser zu nähern. Beides schadet dem Vertrauensverhältnis zwischen Mensch und Hund und verstärkt mit hoher Wahrscheinlichkeit die Angst.

Auch dass der Hund ein sicheres Umfeld zu Hause braucht, in dem er sich wohl fühlt und seine Bedürfnisse erfüllt werden, wird nicht vergessen. Ebenso dass der Mensch immer der „sichere Hafen“ sein muss, zu dem der Hund sich voller Vertrauen flüchten kann und darf.

Dann geht es weiter mit den Trainingstechniken, die in den verschiedenen Situationen hilfreich sind. Dabei werden typische Ängste und dafür geeignete Trainingstechniken beschrieben. Alles natürlich gewaltfrei und auf das Tempo des einzelnen Hundes abgestimmt.

Mir persönlich kommt nur eine einzige Sache in diesem Buch etwas zu kurz, nämlich dass man als Mensch an sich selbst arbeiten muss. Jeder, der mal mit einem ängstlichen, reaktiven Hund unterwegs war, kennt das: Man sieht oder hört den Auslöser der Angst und denkt unwillkürlich „oh nein!“. Das wiederum zieht körperliche Reaktionen nach sich, der Herzschlag beschleunigt sich, man bewegt sich anders, man wird nervös, man nimmt die Leine kürzer und so weiter.

Das ist ganz normal. Aber man macht es dem Hund dadurch unnötig schwer, denn wie soll er denn gelassen auf einen Angstauslöser reagieren, wenn sein Mensch ebenfalls Schweißausbrüche bekommt? Das bedeutet: Ich muss an mir arbeiten. Ich muss lernen, tief durchzuatmen und mich bewusst zu entspannen, um meinem Hund zu helfen.

Jeder kann das. Und wenn man das erst einmal gelernt hat, dann hilft es einem auch in vielen anderen aufregenden Situationen, zum Beispiel im Job, weiter. Es lohnt sich also doppelt, sich auch mit sich selbst und seinen eigenen Reaktionen auseinanderzusetzen und nicht immer nur auf den Hund zu schauen.

Von diesem einen Punkt abgesehen, finde ich das Buch absolut gelungen. Es ist durch die vielen Erläuterungen und praktischen Beispiele eine große Hilfe für Menschen mit Hunden, die ihr Heil bisher in Flucht oder Angriff gesucht haben und ihre Ängste nun langsam abbauen sollen.

(Inga Jung, Juli 2017)

 

Buchtipp: „Medical Training für Hunde“

Es wird Zeit für eine Wiederaufnahme der Buchtipps:

Heute möchte ich das ganz wundervolle und rundum gelungene Buch „Medical Training für Hunde. Körperpflege und Tierarztbesuche vertrauensvoll meistern“ von Anna Oblasser-Mirtl und Barbara Glatz vorstellen.

Es wird zunächst beschrieben, wie Hunde eine unter Zwang durchgeführte Dusche, Schur oder das Krallenschneiden empfinden und dass sie dabei oft in enormen Stress geraten, bis hin zu Angstzuständen, weil sie einfach nicht wissen, was der Mensch mit ihnen vorhat.

Dabei ist es gar nicht so schwer, einem Hund Schritt für Schritt zu zeigen, was man tun möchte, und ihn sogar aktiv mitwirken zu lassen. Diese aktive Gestaltungsmöglichkeit gibt dem Hund Sicherheit und das gute Gefühl, dass ihm nichts Schlimmes geschehen wird.

In diesem kleinen Büchlein werden nun zahlreiche Situationen beschrieben und sehr praxisnahe, in kleinen Schritten aufgebaute Trainingstipps gegeben. Beispielsweise kann der Hund lernen, seinen Kopf auf den Schoß des Menschen zu legen und dort zu lassen, während seine Ohren untersucht werden. Oder er lernt, auf eine Matte zu treten und dort stehen zu bleiben, während er vom Tierarzt geimpft wird.

Dabei hat er stets die Möglichkeit, dieses Verhalten zu unterbrechen und dadurch eine Pause einzufordern, wenn es zu viel für ihn wird. Damit das in der realen Anwendung beim Tierarzt nicht geschieht, muss das gesamte trainierte Verhalten sorgfältig generalisiert werden.

Wer jetzt tief durchatmet, dem sei gesagt: Ja, stimmt, das ist eine ganze Menge Arbeit. Aber was ist diese Arbeit schon, wenn man im Gegenzug einen Hund bekommt, der sich beim Tierarzt vertrauensvoll und ruhig untersuchen lässt, sich freiwillig auf dem Röntgentisch in die Seitenlage legt und zum Blutabnehmen sogar die Pfote reicht? Was für ein Traum!

Dafür ist allerdings auch ein kooperativer Tierarzt vonnöten. Um die Abläufe trainieren und den Hund optimal vorbereiten zu können, muss man sich vorher die genaue Information vom Tierarzt holen, was denn eigentlich gemacht wird. Und das ist meiner Erfahrung nach nicht so einfach. Da trainiert man beispielsweise das Blutabnehmen an der Vorderpfote, und dann besteht der Tierarzt auf einmal darauf, am Hinterlauf Blut abzunehmen. Oder es wird vorher gesagt, dass für die Ultraschalluntersuchung nur der Bauch rasiert sein muss und der Hund dabei stehen darf, aber in der Praxis stellt sich heraus, dass doch eine Rasur des Brustkorbs nötig ist und der Hund liegen muss. Dann ist alles Training auf einmal für die Katz.

So etwas darf nicht passieren, daher sind das Vertrauensverhältnis zum Tierarzt und die Verlässlichkeit seiner Aussagen hier ebenso wichtig wie das fleißige Trainieren.

Ebenso muss der Tierarzt einverstanden sein, dass man auch bei ihm in der Praxis übt, denn sonst ist eine ausreichende Generalisierung nicht möglich.

Das Buch gibt aber nicht nur Tipps für Tierarztbesuche, sondern auch für all die Dinge, die man selbst zu Hause machen kann: vom Krallenschneiden über die Ohrenpflege und das Zähneputzen, bis hin zum Fiebermessen und dem Verbinden von Verletzungen sowie dem Duschen des Hundes und dem Scheren des Fells und noch weiteren Alltagssituationen. All das wird früher oder später in einem Hundeleben mal benötigt, und es ist sinnvoll, es mit dem Hund zu üben, damit er freiwillig und gern mitarbeitet.

Wer sich unter den Beschreibungen der Trainingsschritte im Text nicht genug vorstellen kann und das Ganze gern einmal in der Praxis sehen möchte, der findet im Anhang des Buches auch noch einige Video-Links, in denen die wichtigsten Abläufe gezeigt werden. Zusätzlich sind zahlreiche Fotos im Buch, die die trainierten Verhaltensweisen illustrieren.

In unseren heutigen Zeiten, in denen Hunde immer mehr zu geliebten Familienmitgliedern werden, ist es wirklich kaum zu begreifen, warum sie zu so einfachen Dingen wie dem Krallenschneiden nach wie vor so oft gezwungen werden. Obwohl das doch gar nicht nötig ist. Das Buch setzt hier an und zeigt auf, dass es auch ganz anders geht. Eine wirklich runde Sache, wie ich finde. Mit sehr viel Liebe und Verständnis für die vierbeinigen Patienten geschrieben.

(Inga Jung, Mai 2017)