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Fortschritte mit Marty

Ich hatte im Juni letzten Jahres noch erzählt, dass Marty fürchterliche Angst vor Besuchern hat. Aber dass er von meiner Freundin, mit der wir oft spazieren gehen, Leckerlis nimmt und wir mit ihr bald ein Besuchertraining starten wollen. – Gesagt, getan. Im vergangenen Sommer ging es los. Und wie ich es erwartet hatte, klappte es ganz wunderbar.

Voraussetzung war zunächst, dass wir erst einmal mit unseren Hunden gemeinsam spazieren gingen, so wie Marty es bereits kannte. Nach dem Spaziergang gingen wir dann alle zusammen in unser Haus und gleich durch in den Garten, wo viel Platz war. Marty konnte sich entscheiden, ob er lieber Abstand halten oder nah zu uns herankommen wollte. Und die Hunde gaben ihm Sicherheit und lenkten ihn von den Menschen ab. Das war ein voller Erfolg.

Noch zweimal machten wir es auf diese Weise, trafen uns zuerst draußen zu einem kleinen Spaziergang und gingen dann zusammen ins Haus. Die Hunde spielten und wir unterhielten uns. Marty blieb entspannt. Er kannte alle anwesenden Menschen, und es war auch kein Mann dabei. Vor Frauen hat er weniger Angst.

Da das so gut klappte, ließ ich meine Freundin beim nächsten Mal direkt ins Haus. Wichtig war nur, dass sie nicht klingelte, damit Marty sich nicht aufregte. Sie schob ihre Hündin als Erstes durch die Tür in den Flur, und so hatte Marty direkt seine kleine Freundin vor der Nase und gar keine Zeit, sich über den Gast aufzuregen. Auch das funktionierte wunderbar.

Zum Schluss waren wir dann so weit, dass meine Freundin auch ohne Hund unser Haus betreten konnte. Diese Situation findet Marty noch ziemlich aufregend. Aber es geht. Er rennt nicht weg und greift auch nicht an. Er bellt nur. Das ist okay. Er bellt auch nach wie vor, wenn mein Mann nach Hause kommt, einfach weil das ein aufregender Moment ist und er dann auch immer noch seine Käsewürfel erwartet. Wir füttern diese weiterhin, wenn mein Mann nach Hause kommt, um die positive Verknüpfung aufrechtzuerhalten. Denn Marty lässt sich von ihm immer noch nicht anfassen. Abgesehen davon kommen die beiden inzwischen aber schon ganz gut miteinander zurecht.

Aber wir waren bei den Fortschritten. Der Besuch meiner Freundin ist jetzt also in Ordnung. Der Besuch von Männern ist weiterhin schwierig. Aber solange Marty in meinem Arbeitszimmer hinter dem sicheren Kindergitter ist, bleibt er die ganze Zeit ruhig und relativ entspannt im Hundebett, während der Besuch da ist. Er bellt nicht und läuft auch nicht umher. Das sehe ich ebenfalls schon als Fortschritt. Solange es ihn nicht stresst, im Arbeitszimmer zu bleiben, ist das durchaus eine gute Alternative.

Einen weiteren Erfolg können wir in puncto Krallenschleifen verzeichnen. Marty hatte von Anfang an recht lange Krallen, und diese wurden immer länger und länger. Schneiden war schwierig, denn wenn ich da aus Versehen mal bei seinen sehr dunklen Krallen zu viel erwischt und ihm wehgetan hätte, dann hätte ich das für alle Zeiten vergessen können. Also habe ich mir gedacht, Schleifen ist die bessere Alternative.

Anfang 2022 fing ich an, mit Marty das Krallenschleifen zu üben. Jeden Tag nur ein paar Minuten. Es war mühsam. Zuerst habe ich ihn nur an das laufende Gerät gewöhnt und ihn dabei gekrault. Dann habe ich das Gerät seinen Pfoten angenähert und ihn weiter gekrault.

Nach einigen Monaten konnte ich den Krallenschleifer an eine Kralle halten, während ich weiter kraulte. Aber so kann man nicht vernünftig schleifen. Man braucht seine zweite Hand, um die Kralle festzuhalten, damit man mit dem Schleifgerät richtig arbeiten kann. Bis wir so weit waren und das in ersten Ansätzen klappte, vergingen weitere sechs Monate.

Wir übten fleißig jeden Tag weiter. Mal ging es besser, dann wieder schlechter. Es war tagesformabhängig, wie viel Marty mir erlaubt hat. Das Wichtigste beim Üben war, dass er jederzeit die Pfote wegziehen durfte, wenn er nicht mehr wollte. Nur dieses Prinzip hat es mir überhaupt ermöglicht, mit ihm so weit zu kommen. Und meine Geduld hat sich ausgezahlt.

Inzwischen darf ich jeden Tag mindestens zwei Krallen ein paar Sekunden schleifen. Manchmal sogar länger. Da wir weiter täglich üben, haben wir uns langsam vorgearbeitet und alle vier Pfoten einmal durch. Ich würde seine Krallen noch nicht als kurz bezeichnen, aber sie haben nun alle eine normale Länge und splittern auch nicht mehr. Das ist großartig. Ein Ziel, das lange Zeit in weiter Ferne zu sein schien, ist endlich erreicht.

Und es gibt noch einen weiteren Fortschritt: Marty hat entdeckt, dass es Spaß macht, einen Trick zu lernen. Zumindest zu Hause ohne Ablenkung. Und dass ihm nichts Schlimmes passiert, wenn er sich von meiner Hand (mit einem Käsestückchen darin) locken lässt und ihr hinterherläuft. Das ist für ihn ganz und gar nicht selbstverständlich. Das Prinzip, dass er etwas tun sollte, um seine geliebten Käsestückchen zu bekommen, erschloss sich ihm nicht. Er zog sich zurück und sah mich an, als wollte er sagen: „Mach doch deinen Kram alleine, dann ess ich eben keinen Käse.“ Und wenn ich ihn mit einem Leckerli locken wollte, bekam er direkt Panik.

Ich vermute, dass damals in Rumänien in so einer Situation sein Vertrauen missbraucht wurde. Dass er mit Futter gelockt und dann gepackt wurde, als er beispielsweise zum Tierarzt gebracht werden sollte. Solche „Einfangsituationen“, wenn man nach ihm greift, ihn festhält oder ihm den Weg versperrt, sind immer noch starke Angstauslöser bei ihm. Selbst das tägliche Anziehen des Geschirrs zum Spaziergang ist weiterhin schwierig, auch wenn das schon deutlich besser klappt als noch vor ein paar Monaten.

Inzwischen hat sich aber viel getan. Ich habe mit Marty immer mal wieder den Handtouch geübt. Das fand er zuerst total gruselig und hat auch nicht verstanden, was das soll. Warum sollte er die Hand mit der Nase berühren, obwohl da gar kein Futter drin ist? Er war sehr misstrauisch und schreckhaft.

Aber irgendwann machte es Klick bei ihm und er fand Spaß an der Übung. Und nun ist der Handtouch sein Lieblingstrick. Egal wo Marty gerade war, er kommt sofort fröhlich angehopst, wenn er das Signal „Touch“ hört, stupst meine Hand an und schaut mich erwartungsvoll an. Zumindest drinnen. Draußen sind die Ablenkungen oft noch zu groß. Aber wir arbeiten dran.

Und auch das Folgen der Hand mit dem Leckerli war irgendwann plötzlich gar nicht mehr so furchteinflößend. Inzwischen dreht er sich schon in beide Richtungen um seine eigene Körperachse und folgt meiner Hand in sein Hundebett und hinaus, aufs Sofa oder auf die Treppe, ohne Angst zu bekommen. Ich kann ihn auch mit der Hand an eine bestimmte Stelle führen, ihm ein kurzes „Bleib“ signalisieren und ihn dann mit dem Handtouch zu mir rufen. Diese kleine Übung bringt ihm riesigen Spaß.

Das alles eröffnet uns ganz neue, vielfältige Möglichkeiten und ich bin sehr gespannt, was uns die Zukunft noch so bringt. Vielleicht hat Marty ja doch irgendwann noch mal Lust, auch anspruchsvollere Tricks zu lernen. Erst einmal stehen aber der verlässliche Rückruf, das Bleiben in meiner Nähe und das An- und Ableinen ohne Panikattacken auf unserem Zettel, denn ich denke, Marty ist ein Hund, der sehr gut frei laufen könnte und der das wirklich genießen würde. Er hat kaum jagdliche Ambitionen (außer in Bezug auf Mäuse und Eichhörnchen) und achtet beim Spaziergang immer sehr auf mich. Und er möchte so gern rennen. Die paar Meter, die ihm unsere lange Leine an Freiraum bietet, sind eigentlich zu wenig für ihn. Mal sehen, ob ich ihm das nicht bald ermöglichen kann.

(Inga Jung, Januar 2023)

Podcast-Tipps

Ich wünsche euch allen ein frohes neues Jahr 2023!

Mit dem neuen Jahr möchte ich direkt auch mal eine neue Rubrik hier im Blog eröffnen. Bisher habe ich mich auf Buch-Tipps beschränkt, aber ein neueres und ganz phantastisches Medium darf nicht unerwähnt bleiben: die Podcasts.

Ich war bis vor etwa zwei Jahren gar nicht auf die Idee gekommen nachzuschauen, ob mein Musik-Streaming-Anbieter vielleicht auch Hunde-Podcasts im Repertoire hat. Aber als ich dann einmal gezielt nach einem Podcast gesucht hatte, der mir empfohlen worden war, bin ich fündig geworden. Und zwar richtig.

Podcasts sind wie gemacht für unsere Welt, in der man nie Zeit für irgendetwas hat, weil man sie ganz wunderbar nebenbei, z.B. bei der Hausarbeit oder beim Sport hören kann. Man ist also nicht untätig und bildet sich gleichzeitig weiter – oder lauscht einfach einem interessanten Gespräch. Perfekt!

Damit ihr wisst, welche Podcasts sich so richtig lohnen, habe ich euch mal meine Top 5 aufgelistet. Diese Liste wird bestimmt noch ergänzt, wenn ich weitere Entdeckungen gemacht habe. Meine aktuellen Highlights sind aber diese hier:

1. „Dog it right – Der Podcast für Hundemenschen“ Mein absoluter Favorit ist der Podcast von Uli Seumel und ihren Co-Trainerinnen der Hundeschule Dog it right. Er begann zunächst als Podcast zum Thema Hundebegegnungen, entwickelte sich dann aber rasant weiter und umfasst inzwischen so gut wie alle Themenbereiche, für die man sich als Mensch mit Hund interessieren könnte. Dabei ist es nie langweilig, sondern Uli und ihre Kolleginnen machen die Podcast-Folgen mit viel Humor und Witz immer wieder zu einem Erlebnis. Sie sind sich nicht zu schade, eigene Fehler zuzugeben und über sich selbst zu lachen. Das finde ich unheimlich charmant und liebenswert. Denn nichts ist anstrengender als einen Podcast zu hören, bei dem ständig mit erhobenem Zeigefinger von oben herab gepredigt wird. So etwas wird einem hier garantiert nicht passieren. Spaß ist bei Dog it right immer mit dabei.

2. „Hey-Fiffi.com“ – der Podcast von Sonja Meiburg-Baldioli. Auch bei der lieben Sonja merkt man, dass ihr die Arbeit mit Hunden und Menschen Spaß macht. Hey-Fiffi gibt es nicht nur als Podcast (das übrigens schon seit dem Jahr 2017), sondern Sonja produziert auch zahlreiche Videos, bei denen man eine Menge lernen kann. Ich persönlich höre lieber, weil man dann mehr nebenbei machen kann. Bei Hey-Fiffi kommen ebenfalls alle möglichen Themen zur Sprache, wobei sich Sonja in der Regel ganz ungezwungen mit ihren Gästen zum virtuellen „Küchengespräch“ bei einer Tasse Tee trifft. So finden lustige, spannende, interessante und manchmal auch nachdenklich stimmende Unterhaltungen statt. Und manchmal lernt man ganz überraschend durch einen kleinen Nebensatz noch etwas Neues oder entdeckt seine Faszination für ein Thema, das zunächst gar nicht so interessant zu sein schien. Ich freue mich über jede neue Folge und liebe Sonjas ungezwungene Art.

3. „Dog-Geeks Hundegesabbel“ mit Sylvia Schultze und Gerd Schreiber. Meist sind es nur Sylvia und Gerd, die hier über unser aller Lieblingsthema sabbeln. Manchmal sind aber auch spannende Gäste eingeladen wie z.B. Dr. Ute Blaschke-Berthold, Dagmar Spillner oder Sophie Strodtbeck. Wer Sylvia und Gerd zuhört, sollte Humor und Sinn für Sarkasmus mitbringen und nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen. Sie nehmen sich selbst nicht so ernst und erzählen lustige und kurzweilige Geschichten aus ihrem Alltag.  

4. „Oliver“ von Anja Püster. Diesen Podcast habe ich nur gefunden, weil ich nach den Namen einiger Gesprächspartner von Anja gesucht habe. Hätte ich nur den Titel gesehen, wäre ich vermutlich nie auf die Idee gekommen innezuhalten und mir die genaueren Inhalte anzuschauen. Aber es lohnt sich. Anja hat sich einen lockeren Mix ausgedacht, der durchaus reizvoll ist. In manchen Folgen geht es nur darum, wie man bestimmte Trainingsinhalte aufbaut und festigt, zum Beispiel den doppelten Rückruf oder Click für Blick. Natürlich positiv, bedürfnisorientiert und fair. Und in anderen Folgen, die Anja als Hunde-Plauderei oder Rasse-Plauderei betitelt, geht es um verschiedene Fragestellungen zum Leben mit Hund, um Erlebnisse und Erfahrungen und auch um die besonderen Eigenschaften mancher Hunderassen. Anjas Gäste sind dabei für mich wirklich etwas Besonderes, denn es sind jedes Mal aufs Neue tolle Leute dabei, die mit spannenden Themen und Einblicken begeistern. 

5. „Tiertraining.TV Podcast“ von und mit Pia Gröning. Auch Pia ist schon seit 2017 dabei, diesen tollen Podcast zu machen – mal alleine und mal mit unterschiedlichen Gästen. Tolle Trainer/innen wie Dagmar Spillner, Gerrit Stephan, Katrien Lismont, Maria Hense, Manuela Zaitz oder Aurea Verebes waren schon dabei. Es geht um Training (natürlich auch Pias besondere Steckenpferde Antijagdtraining und Ressourcenverteidigung), Gesundheit und viele verschiedene Aspekte des Lebens mit Hund. Leider hatte Pia in letzter Zeit eine längere Pause eingelegt, sodass ich ihren Podcast schon fast aus dem Blick verloren hatte. Im September und Oktober 2022 kamen dann aber doch wieder ein paar neue Folgen dazu und ich hoffe sehr, dass es auch in diesem Jahr weitergeht.

Wenn ihr ein Abo bei einem der großen Streaming-Anbieter habt, dann schaut doch mal, ob ihr die Podcasts dort findet. Ansonsten kann man sie aber auch im Netz über die Suchmaschine finden.

Ich wünsche euch ganz viel Spaß beim Hören und einen super Start ins neue Jahr!

(Inga Jung, Januar 2023)

Angst kann man sich nicht einfach abgewöhnen

Unser kleiner Marty hat sich zu einem lustigen jungen Hund entwickelt, der die meiste Zeit fröhlich und ausgeglichen ist. Er liebt Spaziergänge über alles, ist neugierig und offen, erkundet fremde Gegenstände und schnuppert gespannt den Wildspuren hinterher. Er legt für sein Leben gerne kurze Sprints ein, ist übermütig und lebensfroh.

Aber er hat immer noch große Angst vor fremden Menschen. Vor allem vor Männern. Vor Männern, die ein bestimmtes Aussehen haben. Vor fremden Menschen, die Interesse an ihm zeigen und ihn ansprechen. Und ganz besonders vor Besuchern hier in seinem sicheren Zuhause.

Unser Haus ist Martys Wohlfühlort, sein Rückzugsort. Hier kann er schlafen und sich entspannen. Hier kann er sich rekeln und sich den Bauch kraulen lassen. Wenn an diesen sicheren Ort plötzlich ein Besucher kommt, gerät Martys Welt ins Ungleichgewicht. Das Konzept „Besuch“ ist einem Hund wie Marty fremd. Er hat den Menschen schließlich nicht eingeladen, das waren wir. Wir haben einfach so beschlossen, dass der unser Haus betreten darf, und Marty kann nichts dagegen tun. Er ist dem völlig ausgeliefert.

Für einen Hund, der Angst vor Menschen hat, fühlt sich Besuch ähnlich an, wie es sich für uns anfühlt, wenn auf einmal ein Einbrecher mit gezogenem Messer im Raum steht. Der Hund fühlt sich bedroht, ausgeliefert, machtlos, in die Ecke gedrängt. Das Haus, das zuvor sein sicherer Rückzugsort war, wird auf einmal zur Falle, aus der es kein Entkommen gibt. Die Angst übernimmt die Kontrolle. Es ist kein Wunder, dass es in so einer Situation immer mal wieder zu Beißunfällen kommt.

Nun haben wir einen Kumpel, der uns seit einiger Zeit fast wöchentlich besucht. Wenn Marty nur seine Stimme hört, flippt er schon aus, weil er genau weiß, dass der bei uns ins Haus kommt. Und das ist für Marty der absolute Horror.

Um ihm den Stress möglichst zu nehmen, bleibt Marty während der Zeit, in der der Besuch bei uns ist, in meinem Arbeitszimmer. Dort hält er sich sehr gern auf. Er hat da sein Hundebett und einen Wassernapf, ein Kindergittter sorgt für Sicherheit, zusätzlich kann man natürlich auch die Tür schließen, und das Arbeitszimmer liegt in einer „Sackgasse“ unseres Flures, so dass dort niemand vorbeigeht. So kann Marty relativ ruhig und vor allem sicher abwarten, bis der Besuch wieder weg ist. Und wenn ich an dem Tag arbeiten muss, bin ich auch die ganze Zeit bei ihm. Das ist dann natürlich optimal für ihn.

Neulich machte unser Kumpel, dem es natürlich leidtut, dass Marty immer so einen Stress mit seinem Besuch hat, einen Vorschlag. Er fragte, ob Marty schon an einen Maulkorb gewöhnt sei. Denn dann könnte ich Marty doch einfach den Maulkorb aufsetzen und ihn im Haus laufen lassen. Er hatte nämlich, bevor wir das Kindergitter eingebaut hatten, schon die Erfahrung gemacht, dass Marty Scheinangriffe gegen ihn gestartet hatte, wenn er sich in der Nähe des Arbeitszimmers bewegte. Gebissen werden wollte er auf keinen Fall, aber mit dem Maulkorb war die Gefahr aus seiner Sicht gebannt und somit alles in Ordnung. Und er dachte, dann werde sich Marty schon an seine Anwesenheit gewöhnen und merken, dass ihm nichts getan wird.

Ich lachte, weil ich das für einen Witz hielt. Doch an seiner Reaktion merkte ich, dass er es durchaus ernst gemeint hatte, und das brachte mich zum Nachdenken, ob nicht ein Blog-Beitrag zu dem Thema angebracht wäre. Besagter Kumpel hat nämlich auch schon sein ganzes Leben lang Hunde und ist kein Neuling auf dem Gebiet. Dass er sich nicht vorstellen konnte, dass so ein Vorschlag im Grunde eine Anleitung zum Thema „Wie zerstöre ich möglichst schnell das Vertrauen meines Hundes“ ist, machte mich nachdenklich.

Warum bin ich dieser Meinung? Nun, ganz einfach. Die Zähne sind die einzige Waffe, die Marty gegen den Angstauslöser hat. Erinnern wir uns nur einmal an das Bild des Einbrechers, der mit gezogenem Messer vor uns steht. Haben wir selbst eine Waffe (und sei es nur die Bratpfanne), dann fühlen wir uns nicht ganz wehrlos. Wir haben vielleicht noch die Möglichkeit, den Eindringling mit viel Gebrüll aus dem Haus zu jagen. Sind hingegen unsere Hände gefesselt, dann ist das eine ganz andere Situation. Wir haben keine Möglichkeit mehr, dem Einbrecher irgendetwas entgegenzusetzen. Unsere Angst steigert sich ins Unermessliche.

Ich würde also, diesem Vorschlag folgend, Marty seine einzige Möglichkeit der Verteidigung nehmen. Das allein wäre vielleicht noch nicht dramatisch, wenn ich ihm trotzdem weiter beistehen würde. Aber das tue ich nicht. Ich setze ihn der bedrohlichen Situation aus und sage, so, jetzt sieh zu, wie du klarkommst. Arrangiere dich mit der Situation, eine andere Möglichkeit hast du nicht. Dein Rückzugsraum bietet dir keinen Schutz mehr, alle Türen im Haus sind offen, und der Besucher bewegt sich frei im Haus. Du kannst nichts dagegen tun, und weglaufen kannst du auch nicht. Und ich helfe dir nicht.

Was glaubt ihr wohl, was passieren wird? Wird Marty durch so eine Maßnahme seine Angst verlieren? Wird er merken, dass ihm nichts passiert, und sich an den Besucher gewöhnen?

Viel wahrscheinlicher ist doch, dass sich seine Angst ins Unermessliche steigert. Entweder wird er diesen Menschen, der ihm jetzt so bedrohlich erscheint, sein Leben lang als höchst gefährlich einstufen und bei der ersten Gelegenheit doch wieder angreifen. Oder er wird in die erlernte Hilflosigkeit fallen und sich seinem Schicksal ergeben, weil er weiß, dass es aus der Situation kein Entkommen gibt. Aber die Angst wird so oder so bleiben. Vor allem bei einem Hund, der so sensibel ist wie Marty und der ganz offensichtlich in seiner Jugendzeit traumatische Erlebnisse mit Männern hatte.

Aber soll Marty jetzt sein Leben lang im Arbeitszimmer bleiben, wenn Besuch da ist?  – Nein, das ist natürlich nicht gesagt.

Das Problem ist, dass die meisten Menschen einfach keine Geduld haben. Sie wollen Erfolge, und sie wollen sie schnell. Aber das Verändern von Gefühlen ist nun mal etwas, das nicht von heute auf morgen passiert. Das braucht Zeit und ein ganz langsames, schrittweises Vorgehen. Traumatisierte Menschen sind in der Regel viele Jahre lang in Therapie und brauchen sehr, sehr lang, bis sie sich den einschneidenden Erfahrungen in ihrer Vergangenheit überhaupt stellen können. Und ein traumatisierter Hund, der noch viel weniger zur Selbstreflexion fähig ist als ein Mensch, der soll das von heute auf morgen können? Ist das nicht ein bisschen viel verlangt?

Ich treffe häufig auf dem Spaziergang Männer, die Marty niedlich finden und ihn zu sich locken wollen. Wenn ich dann sage, dass er nicht zu ihnen gehen wird, weil er Angst hat, scheint das unerklärlicherweise bei vielen einen plötzlichen Ehrgeiz zu wecken. Da kommen dann Sprüche wie: „Ha, das ist eine Sache von fünf Minuten. Ich bring dann mal Futter mit, und dann kommt der sofort.“ Ja, sicher. Träum weiter.

Was ist das für eine Profilierungssucht, die viele Männer haben? Gibt ihnen das einen Kick, wenn sie von sich behaupten, sie seien die Hundeflüsterer, die den ängstlichen Hosenschisser aus Rumänien bekehrt haben? Das sind wohlgemerkt wildfremde Leute, die ich vorher noch nie gesehen hatte und die auch gar nichts mit uns zu tun haben. Ich finde so ein Verhalten absolut anmaßend. Schließlich kennen sie weder mich noch Marty und wissen überhaupt nichts über uns.

Genausowenig wie diese besserwisserische Frau, die vor einem Jahr, als Marty noch Angst vor einer recht belebten Straßenecke im Nachbardorf hatte (die übrigens schon wenige Wochen später überhaupt kein Problem mehr darstellte), im Stechschritt auf uns zugestampft kam und mir in bestimmendem Tonfall erklärte, ich würde die Angst meines Hundes verstärken, wenn ich ihn streichele. Voller Überzeugung warf sie mir all diese alten, längst von der Wissenschaft widerlegten Kamellen an den Kopf und dachte offenbar ernsthaft, sie würde damit ein gutes Werk tun. Was sie dagegen tat, war, Marty durch ihr forsches Auftreten zu verunsichern, mich zu verärgern und uns das Training für diesen Tag komplett zu zerstören. Denn ich war nach der Begegnung so sauer, dass ich unmöglich noch weiter Ruhe und Sicherheit ausstrahlen konnte.

Warum ich das jetzt auch alles erwähne? Ich möchte mit diesem Blog-Beitrag darauf aufmerksam machen, wie leicht es ist, sich von Außenstehenden dazu überreden zu lassen, ganz gewaltige Fehler zu machen. Ich bin froh, dass ich meine Ausbildung habe, dass ich dank meines ganzen Vorwissens weiß, was ich tue. Dass ich weiß, was meinem Hund hilft und was ihm schadet. Dass ich weiß, wie ich ihn vor der Welt beschütze und wie ich sein Vertrauen in mich stärke.

Aber nicht jeder Mensch, der einen ängstlichen Hund an seiner Seite hat, hat diesen Erfahrungshintergrund und das theoretische Wissen. Dann lässt man sich schnell verunsichern und hört auf die Tipps von Menschen, die sich selbst darstellen, als seien sie die absoluten Profis und wüssten genau, wovon sie reden. Statt auf sein Bauchgefühl zu hören, denkt man dann über die vermeintlich stichhaltigen Argumente nach und tut Dinge, die man später bereut.

Ich kann immer nur an jeden appellieren sich zu überlegen, wie es einem selbst in der Situation gehen würde, in der der Hund gerade ist. Die Perspektive des Hundes einzunehmen (auch im wahrsten Sinne des Wortes, denn die meisten Hunde sind viel näher am Boden als wir, und von dort sieht die Welt ganz anders aus). Stellt euch vor, ihr selbst hättet panische Angst vor dieser einen Sache, vor der euer Hund Angst hat. Was würde euch in der Situation helfen? Und was nicht? Was lässt die Angst weniger werden und was macht sie größer?

Empathie und Bauchgefühl sind so wichtig für unser Zusammenleben mit dem Hund. Wenn euch irgendwer zum Beispiel sagt, ihr sollt die Angst eures Hundes ignorieren, dann fragt euch: Wenn ich mein Hund wäre, würde mir das dann helfen? Oder würde ich mich dadurch eher alleingelassen fühlen?

Oft ist es ganz einfach, die richtigen Antworten zu finden, wenn man sich nur in die Gefühlswelt des Hundes hineinversetzt und überlegt, was ihm helfen würde, eine Situation positiver zu erleben. Denn so unterschiedlich ist das Gefühlsleben von Hund und Mensch gar nicht. Deswegen lieben wir einander schließlich so sehr.

Übrigens hat Marty neulich einen großen Fortschritt gemacht, davon möchte ich abschließend noch erzählen. Ich habe vor ein paar Tagen durch Zufall auf einem Waldparkplatz in unserer Nähe eine befreundete Hundetrainerin getroffen. Wir hatten unsere Hunde, bis auf Marty, schon in die Autos geladen, standen mit einigen Metern Abstand zueinander und unterhielten uns. Nach einer Weile schlenderte Marty wie zufällig vorsichtig im Bogen auf sie zu und schaute sie aufmerksam an. Da ich wusste, dass von dieser Person ganz bestimmt keine unbedachte Reaktion kommt, die Marty verunsichern würde, ließ ich ihn gewähren.

Zum Hintergrund müsst ihr wissen, dass ich von Anfang an hin und wieder mit Marty und einer Freundin mit ihrem Hund zusammen spazieren gegangen bin. Marty kennt es, dass besagte Freundin immer bessere Leckerlis hat als ich, und dass sie diese auch großzügig verteilt. Und offenbar hat er sich überlegt, dass diese neue Frau vielleicht auch gute Leckerlis hat. So hat er sich ein Herz gefasst und sich ihr ganz allein angenähert. Ohne dass ich mitging. Das war so großartig. Und da es sich um eine Hundetrainerin handelte, die mit positiver Verstärkung arbeitet, hatte er das unfassbare Glück, dass sie tatsächlich tolle Leckerlis in der Tasche hatte und Marty groß abstauben konnte. Wie wunderbar!

Nach diesem tollen Erfolgserlebnis mit einer für ihn wildfremden Frau kam Marty wieder glücklich auf mich zugehopst und wollte erst mal kuscheln. Ich war so stolz auf meinen Kleinen.

Ich denke, mit meiner Freundin kann ich nach einem gemeinsamen Spaziergang auch schon mit dem Besuchertraining anfangen. Wenn sie mit in unser Haus kommt, wird er sicher wenig Unsicherheit zeigen. Und darauf aufbauend könnten wir dann mit weiteren Frauen üben. Dumm nur, dass sich dafür immer jemand die Zeit nehmen und zu uns rausfahren muss. Mal sehen, wie oft sich solche Gelegenheiten bieten. Wenn wir das ab und an wiederholen, werden Frauen sicher bald kein Problem mehr sein. Bei Männern bin ich noch nicht so optimistisch. Aber wir haben ja noch viele gemeinsame Jahre Zeit. Nur Geduld, das wird schon.

Inga Jung (Juni 2022)

Kleiner Hund gegen den Rest der Welt

Unser kleiner Marty hat seit ein paar Monaten eine neue Strategie entdeckt: das aktive Vertreiben seiner Angstauslöser.

Und wer kennt das nicht, gerade jetzt, wo wieder ein Krieg in Europa tobt und wir uns alle Sorgen um die Zukunft machen: Das Schlimmste, was uns im Angesicht eines Angstauslösers passieren kann, ist Hilflosigkeit. Wir möchten etwas tun, wir möchten aktiv werden, wir möchten den Angstauslöser vertreiben, damit er weggeht und wir uns wieder sicher fühlen können.

Genau das tut Marty, wie so viele andere Hunde auch: Ein Auto kommt angefahren, es fährt am Gartenzaun vorbei, Marty stürzt bellend an den Zaun, und das Auto entfernt sich wieder. Marty hat es aktiv vertrieben und fühlt sich groß und stark. Ziel erreicht. Ein absolut selbstbelohnendes Verhalten.

Dabei ist es interessant zu sehen, wer angebellt wird. Es sind nur Autos und Transporter, aus denen (vom Typ her) schon mal Menschen ausgestiegen sind und bei uns geklingelt haben. Also Post- und Paketboten, Handwerker oder Besucher. Das gelbe Postauto ist dabei Martys ganz persönlicher Erzfeind, weil das wirklich jeden Tag auftaucht und bei ihm immer wieder die Angst auslöst, dass der böse Postbote womöglich ins Haus kommt. Auf dieses Auto geht er sogar wie ein Irrer los, wenn es uns auf dem Spaziergang begegnet, was er bei anderen Autos nicht tut. Fremde Menschen, die möglicherweise in sein sicheres Zuhause kommen könnten, sind Martys absoluter Alptraum.

Es werden keine Trecker und keine LKW angebellt. Menschen in Treckern und LKW sind ungefährlich, die haben uns noch nie besucht.

Es werden auch keine Spaziergänger mit Hund angebellt, es sei denn, die Menschen gehen sehr nahe an den Zaun, schauen Marty direkt an oder sprechen ihn an. Gegen Hunde hat er nichts. Selbst wenn die ihn anbellen, schaut er nur und bellt nicht zurück. Und er ist auch überhaupt nicht territorial veranlagt, es geht ihm nicht um den Schutz von Haus und Garten, es geht ihm nur um Selbstschutz.

Es sind die Menschen, die er auf Abstand halten möchte. Menschen findet er einfach gruselig. Männer noch mehr als Frauen.

Und ich kann es ihm nicht verdenken, er hat schließlich Recht. Das einzige Tier auf diesem Planeten, das absichtlich grausam ist, ist der Mensch. In Bezug auf dieses Verhalten hat unsere Spezies ein absolutes Monopol. Der aktuelle Krieg in Osteuropa bestätigt das gerade mal wieder auf besonders deutliche Weise. Also was soll ich Marty erzählen? Dass alle Menschen nett sind? Sind sie nicht. Seine Ängste sind nicht unbegründet.

Natürlich finde ich die Kläfferei nicht gut, zumal sich Marty dabei auch im Haus manchmal richtig in Stress kläfft, immer mehr auf Geräusche von draußen lauscht und aus dem Fenster schauend regelrecht nach auffälligen Bewegungen sucht. Vor allem wenn es ihm körperlich nicht so gut geht, er Bauchweh hat oder irgendwelche anderen Befindlichkeiten, reagiert er immer sensibler. Dann muss ich manchmal alle Fenster schließen, Rollos runterziehen und Hintergrundmusik anmachen, um ihn von den Reizen, die ihn gerade so überfordern, abzuschirmen. Erst dann kommt er wieder zur Ruhe.

Was hilft, ist Sonne. Wenn die Hunde hier den ganzen Vormittag entspannt in der Sonne gelegen haben, ist Martys Bedürfnis, sich über vorbeifahrende Autos aufzuregen, sehr gering. Er ist dann so ausgeglichen, dass es schon starker Reize wie Stimmen direkt vor der Tür oder das Klappern des Briefkastens bedarf, um ihn aus der Reserve zu locken.

Ich tue viel, damit die Hunde – vor allem Marty – ausreichend Schlaf und Entspannung bekommen. Das ist enorm wichtig für das innere Gleichgewicht. Außerdem haben für Marty zumindest bei schönem Wetter seine Spaziergänge mit viel Zeit zum Schnüffeln und Beobachten einen hohen Stellenwert. Bei Regenwetter haben beide Hunde oft den Spaziergang verweigert, daher war die Kläfferei im Februar, als es wochenlang nur regnete, auch besonders schlimm, während sie sich jetzt im März, nachdem nun schon seit drei Wochen fast durchgehend die Sonne scheint, stark reduziert hat. Solche Einflüsse darf man einfach nicht unterschätzen, das Allgemeinbefinden der betroffenen Hunde ist bei solchen Problemen essenziell.

Wie trainiere ich nun mit Marty und wie bringe ich ihm ein passendes Alternativverhalten bei?

Tja, das ist nicht so einfach, weil er überhaupt nicht über Futter oder Spiel zu motivieren ist. Selbst wenn er ganz entspannt ist und keine Angst hat, interessieren ihn Futter und Spielzeug wenig. Das Einzige, was bei ihm hilft, ist Körperkontakt, ruhiges Ausstreichen über den Rücken und Ansprache mit ruhiger Stimme. So kann ich ihn hier im Haus immer sehr schnell wieder erden. Und aus dem Garten kommt er auf Rückruf zuverlässig wieder zurück ins Haus, auch wenn er gerade am Bellen ist. Das sind momentan die einzigen Ansätze, die wirklich helfen. Ich muss nur schnell sein, denn je länger er bellt, desto mehr übt er natürlich dieses Verhalten als Strategie ein. Da muss ich noch an mir arbeiten, in solchen Momentan wirklich alles stehen und liegen zu lassen, egal was ich gerade mache.

Am besten wäre es natürlich, vorausschauend bei jedem potenziell aufregenden Geräusch zu Marty zu gehen und ihn zu streicheln, damit er gar nicht erst anfängt zu bellen. Aber das klappt im Alltag natürlich nur selten, weil ich die Auslöser meist nicht vorhersehen kann.

Sichere Rückzugsorte, an denen Marty sich wohl fühlt, haben wir mehrere im Haus, aber er ist noch zu unsicher, um wirklich darauf vertrauen zu können, dass ihm dort auf keinen Fall etwas passieren wird, falls fremde Menschen hier hereinkommen sollten.

Wenn tatsächlich mal jemand zu Besuch kommt, was aktuell schon allein wegen der Pandemie sehr selten passiert, dann hat Marty ein festes Zimmer mit seinem Hundebett und allem, was er braucht, zu dem Besucher keinen Zutritt haben. Und auch sonst setze ich im Alltag natürlich viel Management ein. Gehen wir zum Beispiel an fremden Menschen vorbei, gehe ich zwischen Marty und den Menschen, damit er so viel Abstand bekommt wie er braucht. Er wird auf keinen Fall zur Kontaktaufnahme gezwungen und darf für ihn unheimliche Situationen in Ruhe mit ausreichend Abstand beobachten.

Das alles kenne ich schon von meinen ersten Jahren mit Luzi, die anfangs auch große Probleme mit fremden Menschen hatte. Das ist nicht wirklich neu für mich. Nur hatte ich damals den Luxus, dass Luzi in diesen Situationen Futter annehmen konnte und ich dadurch schneller eine positive Verknüpfung herstellen und gleichzeitig gutes Verhalten belohnen konnte.  

Mein Traum wäre, dass Marty vielleicht irgendwann auch im Angesicht fremder Menschen ein paar Käsewürfel (das einzige Leckerli, das er wirklich gern mag) annehmen kann und das dann auch als Belohnung empfindet. Das würde uns deutlich mehr Möglichkeiten im Training eröffnen. Aber das wird wohl noch eine ganze Weile dauern.

(Inga Jung, März 2022)

Der Hausfrieden ist wieder hergestellt

Seit Anfang November hat sich die Lage beruhigt. Marty hat Toni inzwischen in den unterschiedlichsten Situationen beobachtet und festgestellt, dass der manchmal aus sehr merkwürdigen und für Martys Verständnis einfach nicht nachvollziehbaren Gründen bellt. Und dass Herrchen in dem Moment wohl doch gar keine Bedrohung darstellt.

Außerdem haben wir natürlich mit gutem Management und vielen kleinen Käsewürfeln aktiv dazu beigetragen, dass sich Martys Gefühlslage angesichts Tonis Gebell wieder beruhigt hat. Mein Mann kann sich jetzt wieder frei im Haus bewegen und muss nicht mehr befürchten, dass Marty plötzlich knurrend auf ihn zugestürzt kommt. Marty geht ihm wieder respektvoll aus dem Weg, so wie er es schon vor Tonis Einzug gemacht hat, aber wirkliche Angst hat er vor Herrchen nicht mehr. Somit ist der Hausfrieden zunächst wieder hergestellt.

Wenn Toni, der ein absolutes Papa-Kind ist, spielerisch von meinem Mann durchgeknuddelt wird, steht Marty dabei und guckt skeptisch zu. Was er davon halten soll, weiß er ganz offensichtlich noch nicht. Aber Toni macht es eindeutig Spaß, also scheint es wohl ungefährlich zu sein.

Marty hat eine detaillierte Beobachtungsgabe und kommuniziert selbst sehr fein. Toni dagegen ist kommunikativ eher ein Grobmotoriker. Marty setzt seinen gesamten Körper ein, um seine Gefühle auszudrücken. Toni stellt sich einfach hin und bellt, wenn er irgendwas will. Das macht er mit Menschen und mit Hunden so. Dieses Verhalten kommt nicht überall gut an und erzeugt zwischen den beiden (und auch zwischen Toni und manchen Hunden, denen wir draußen begegnen) noch das eine oder andere Missverständnis. Toni stört das nicht, er ist da ganz gelassen. Marty verunsichert es manchmal aber doch sehr.

Zum Beispiel haben die beiden ein paar Mal versucht, miteinander zu spielen. Aber wenn Toni hinter Marty herrennt, bellt er dabei immer. Typisch Terrier. Marty deutet das allerdings nicht als Bestandteil des Spiels, sondern bekommt fürchterliche Angst und verfällt in seine altbekannte Schockstarre. Toni steht dann vor ihm und bellt weiter, damit Marty wieder losrennt. Was Marty allerdings erst so richtig in Panik versetzt. Diese Situationen muss ich immer auflösen, indem ich ein paar Leckerlis streue und die Hunde auf andere Gedanken bringe, denn Marty ist in seiner Panik nicht in der Lage, das selbst zu lösen. Ich kann mir auch gut vorstellen, dass er in dem rumänischen Tierheim, in dem er aufgewachsen ist, oft von anderen Hunden gemobbt wurde, und dass ihn solche Situationen daran erinnern.

Ich hoffe sehr, dass im Laufe der Zeit das Vertrauen zwischen den beiden so sehr wächst, dass Marty auch diese Situation ruhig und ohne Angst betrachten und für sich auflösen kann. Denn an sich ist er sehr schlau und kann Situationen unheimlich gut analysieren. Aber seine Ängste blockieren ihn so sehr, dass er nicht mehr handlungsfähig ist, wenn die Unsicherheit mal wieder die Oberhand gewinnt.

Es ist auf jeden Fall spannend zu sehen, wie sowohl Marty, als auch Toni sich entwickeln und jeden Tag lernen – voneinander, von mir und aus den täglichen Alltagssituationen. Und abgesehen von diesen kleinen Bell-Missverständnissen, die auch schon seltener werden, kommen Toni und Marty ganz wunderbar miteinander aus und ergänzen sich optimal.

Toni darf inzwischen auf ausgewählten Strecken, die ich gut überblicken kann, schon frei laufen, und er macht das ganz wunderbar. Von sich aus schaut er sich immer wieder zu mir um, und auch der Rückruf klappt sehr gut. Natürlich wird er dafür auch immer fürstlich belohnt und gelobt.

Bei Marty kommen leider auch auf dem Spaziergang immer mal wieder durch verschiedene Auslöser so starke Unsicherheiten hoch, dass ich auf die Leine noch nicht verzichten kann. Denn wenn er erst einmal weggelaufen ist, kann ihn niemand (außer mir vielleicht) wieder einfangen. Er würde nie im Leben auf die Idee kommen, zu Menschen zu laufen und sich Hilfe zu suchen, so wie Toni das ganz sicher machen würde. Menschen sind für Marty immer noch das Gruseligste überhaupt.

Also gehen wir auf Nummer sicher. Und auch an der langen Leine genießt Marty unsere Spaziergänge sehr. Da gibt es immer etwas Neues zu entdecken, und man kann stehen bleiben und schnüffeln und dann ganz plötzlich losrennen und ein paar Meter sprinten und Haken schlagen … Es ist wunderbar, wie er draußen aufblüht und die Welt jeden Tag aufs Neue erkundet.

Und er hat ja noch sein ganzes Leben vor sich. Marty hat Ende November seinen zweiten Geburtstag gefeiert und hat noch so viel Zeit, um nach und nach seine Ängste abzubauen. Ich bin auf jeden Fall sehr froh, dass es mit meinem Mann jetzt wieder entspannter ist. Wer weiß, vielleicht ist Marty irgendwann, in einigen Monaten, auch bereit, sich von ihm streicheln zu lassen. Das wird ganz allein Martys Entscheidung sein. Lassen wir es einfach auf uns zukommen.

(Inga Jung, Dezember 2021)

„Warum lobst du ihn jetzt auch noch dafür, dass er mich angeknurrt hat?“

Ich habe ja bereits erzählt, dass im Mai der kleine Marty aus Rumänien bei uns eingezogen ist. Marty hat inzwischen eine großartige Entwicklung durchgemacht. Er läuft auf Spaziergängen freudig voraus, spielt und ist albern, kuschelt mit mir auf dem Sofa und hat sich problemlos in meinen Alltag integriert. Er hat auch glücklicherweise keine Reisekrankheiten aus seinem Geburtsland mitgebracht, beide Tests waren negativ. So steht einem langen, glücklichen Hundeleben nun nichts mehr im Wege. Naja, fast nichts, denn Marty hat leider immer noch ein Problem: meinen Mann.

Ich bin sonst nicht so, dass ich bei Hunden aus dem Ausland sofort ein Trauma vermute, aber bei Marty gibt es zahlreiche deutliche Hinweise darauf, dass er während der fast eineinhalb Jahre in dem rumänischen Tierheim mit Männern vermutlich auch schmerzhafte, aber auf jeden Fall enorm furchteinflößende Erfahrungen gemacht hat. Und so ist auch seine Beziehung zu meinem Mann von tiefem Misstrauen geprägt. Auch noch nach inzwischen fast sechs Monaten bei uns. Er ist zwar inzwischen so entspannt, dass er auf die Couch springt, wenn mein Mann dort sitzt – das ist durchaus ein großer Fortschritt –, aber er bleibt dann mit viel Abstand in seiner Ecke. Anfassen lässt er sich von meinem Mann nicht und wenn der sich in seine Richtung bewegt, bekommt er Angst und läuft weg.

Nun haben wir vor zwei Wochen den Toni dazu adoptiert, einen kleinen Spanier mit einem sonnigen Gemüt. Toni ist der lebende Beweis dafür, dass Hunde aus dem Tierschutz ganz und gar nicht immer schwierig sind. Toni liebt alle Menschen und ist auch allen anderen Hunden gegenüber aufgeschlossen. Wenn er nicht gerade auf der Couch auf einem Haufen Decken und Kissen liegt und schläft, dann ist er am Dauerwedeln, immer mittendrin im Geschehen und für jeden Spaß zu haben. Da er sehr verfressen ist, tut er alles für ein paar Leckerlis und ist dadurch absolut unkompliziert zu lenken.

Marty und Toni verstehen sich wunderbar. Es gibt nur eine Sache, bei der es noch hakt: Mein Mann spielt gern mit Toni, weil er das mit Marty ja nicht machen kann. Und Toni bellt häufig als Aufforderung, im Spiel oder wenn er etwas haben möchte. Marty dagegen sieht nur, dass Toni bellt, während der „böse Mann“ ihm sehr nahe ist. Da gehen bei Marty alle Alarmglocken an. Achtung, der Mann bedroht Toni, der macht gerade etwas Schlimmes. Wahrscheinlich tut er mir auch gleich etwas an, ich hab’s doch gewusst … Und Marty stürzt sich knurrend mit aufgestellten Nackenhaaren auf meinen Mann.

Das Einzige, was ich in dieser Situation tun kann und darf, ist, Marty aus dieser negativen Emotionslage herauszuholen, aufzufangen und zu beruhigen. Ich streichele ihn und rede ruhig mit ihm, um ihn wieder ansprechbar zu machen. Und ich merke, wie sehr er das braucht. Er versteckt dann seinen Kopf in meiner Armbeuge und wimmert richtig vor sich hin.

Hätte ich geschimpft, wäre Martys Angst ins Unermessliche gestiegen, denn dann hätte ich als seine einzige Vertrauensperson mich auch noch gegen ihn gewendet. Kleiner Hund ganz allein auf der Welt, oh mein Gott … Wer weiß, vielleicht hätte er dann noch heftiger reagiert, oder er wäre in sich zusammengebrochen. Aber ich hätte die Lage auf gar keinen Fall verbessert.

Mein Mann versteht das nicht. Er schaut sich das an, schüttelt mit dem Kopf und meint: „Warum lobst du ihn jetzt auch noch dafür, dass er mich angeknurrt hat?“ Dabei muss man doch überlegen, was die Ursache für Martys Verhalten war. Er verhält sich nicht so, weil er schlicht aggressiv ist oder Ressourcen verteidigen will, sondern weil er Angst hat. Und Angst kann man nicht loben, das geht schlichtweg nicht. Wenn ich Angst habe und jemand tut mir etwas Gutes (das ich auch als etwas Gutes empfinde), dann wird meine Angst nicht stärker, sondern geringer werden, weil ich mich wohler fühle. Es ist also kein Lob, sondern einfach eine Beruhigung Martys heftiger Emotionen. Ein seelisches Auffangen.

Natürlich fände ich es auch schöner, wenn Marty meinen Mann endlich nicht mehr so bedrohlich finden würde. Aber das lässt sich nicht so einfach wegwünschen. Und die als bedrohlich empfundene Person muss sich auch Mühe geben, möglichst keine negativen Emotionen auszustrahlen. Das wiederum ist noch viel schwieriger.

Früher war ich jahrelang von Menschen um Hilfe in solchen oder anderen Situationen mit ihren Hunden gebeten worden, und sie haben versucht, meine Tipps umzusetzen. Wenn ich aber meinem Mann rate, sein Verhalten in der einen oder anderen Situation anzupassen, ist er beleidigt und meint, er wüsste schon, was er tue. Und diese beleidigte, genervte Haltung findet Marty dann wiederum bedrohlich, also sage ich lieber nichts, um es nicht noch schlimmer zu machen. Wie das eben so ist – Szenen einer Ehe.

Momentan versuchen wir möglichst zu vermeiden, dass Toni meinen Mann anbellt und dadurch solche kritischen Situationen entstehen. Das bedeutet, dass wir Toni immer wieder seine geliebten Kongs, auf denen er so gern herumkaut, sie in die Luft wirft und wieder auffängt, wegnehmen müssen. Management als Prävention.

Ich hoffe sehr, dass Marty nach und nach zu vertrauen lernt. Hoffnung gegeben haben mir Freunde, die zwei unsichere Hunde aus dem Ausland aufgenommen haben und meinten, dass beide Hunde ein Jahr gebraucht hätten, bis sie mit dem Mann im Haus einen entspannten Umgang pflegen konnten. Wenn es bei uns auch so lange dauert, dann haben wir ja noch ein paar Monate Zeit. Aber es ist natürlich auch wichtig, dass wir schwierige Situationen möglichst gar nicht erst entstehen lassen bzw. sie schnell entschärfen, wenn sie sich denn nicht vermeiden ließen.

Marty hat in der Zeit, in der er bei uns ist, schon so viel gelernt und so viel Mut bewiesen. Ich bin mir sicher, dass er auch das noch lernen kann. Sofern sich beide Seiten Mühe geben.

(Inga Jung, Oktober 2021)

Unser erster Hund mit Migrationshintergrund zieht ein

Die verrückte kleine Luzi, von der wir immer dachten, sie würde ewig fit bleiben und mindestens 20 Jahre alt werden, hat uns im April 2021 nach schwerer Krankheit leider viel zu früh verlassen. Da standen wir nun, zum ersten Mal seit 17 Jahren ohne Hund im Haus, und fühlten uns leer und nutzlos. Es musste schnell, ganz schnell wieder ein Hund einziehen. Also machte ich mich auf die Suche.

Dabei hatten wir schon oft darüber geredet, was wir uns von unserem nächsten Hund wünschen, und wir hatten bereits sehr genaue Vorstellungen. Nach den vielen Jahren mit Luzi, in denen wir aus Rücksichtnahme auf die Ohren und Nerven unserer Mitmenschen auf Urlaube und Ausflüge verzichtet und viele Spazierwege gemieden haben, weil es da erfahrungsgemäß zu viele frei laufende Dertutnixe gab und wir keine Lust auf ständige Auseinandersetzungen hatten, haben wir uns gesagt: Das war definitiv der letzte Aussie. Es sei denn, wir finden noch einmal ein Exemplar wie unsere Peppi. Aber wer gibt schon so einen Traumhund freiwillig ab? Und bei einem Welpen weiß man ja nie, was daraus wird, da war uns das Risiko zu groß, noch mal so ein durchgeknalltes Nervenbündel zu bekommen.

Es sollte ein bereits erwachsener Hund sein. Kein Welpe und auch kein Junghund, der noch den Zahnwechsel und die Pubertät vor sich hat. Am liebsten mag ich Senioren, aber ich wollte nicht zu wählerisch werden, um nicht ewig suchen zu müssen. Da wir gern auf lange Sicht nicht nur einen Hund haben wollten und uns auch so sehr nach entspannten Hundebegegnungen sehnten, sollte er sozialverträglich mit anderen Hunden sein. Und – ebenfalls im Hinblick auf eventuell noch einziehende weitere Hunde – nicht zu groß, damit die Hunde auch zu mehreren auf dem Spaziergang handelbar bleiben.

Ich klickte mich also zunächst durch die Webseiten der umliegenden Tierheime. Aber wir sind mitten in der Coronazeit, und in den Tierheimen sind freundliche Familienhunde Mangelware. Die Hunde dort hatten alle ihr Päckchen zu tragen. Und ja, ich finde auch, dass auch diese Hunde eine Chance verdient haben. Aber ich war nach fast 13 Jahren Luzi so fertig mit den Nerven, die Energie war einfach nicht mehr da. Ich wollte nur einmal was Einfaches, Freundliches, ohne explodierende Aggressionen und ohne tägliche Kreischanfälle. Ich finde, ich hab mir das auch mal verdient.

Es sollte auf jeden Fall ein Hund aus dem Tierschutz sein, und da in den Tierheimen leider nichts Passendes zu finden war, schaute ich auf den Webseiten der mir bekannten Auslandstierschutzvereine weiter. So kamen wir dann über ein paar Umwege zu unserem kleinen Marty, einem gebürtigen Rumänen. Marty war in einem rumänischen Tierheim aufgewachsen. Beim ersten Eintrag in seinem Impfpass war er neun Wochen alt. Also wurde er vermutlich als Welpe gefunden oder im Tierheim geboren. Genau weiß man das nicht. Bis zu seinem Umzug nach Deutschland Ende März 2021 hatte er nie etwas anderes als die Tierheimumgebung gesehen. Da war er eineinhalb Jahre alt. Er kam in eine norddeutsche Pflegestelle, zusammen mit einer größeren Hundegruppe, in der er das Leben in einem Haus kennen lernte.

Anfang Mai 2021, eine Woche nach Luzis Tod, durfte Marty (zu dem Zeitpunkt ein Jahr und sechs Monate jung) bei uns einziehen. Zu Beginn war es ganz schrecklich für den armen kleinen Kerl. Er war panisch und ließ sich nicht anfassen. Sobald wir nur eine Bewegung in seine Richtung machten, schrie er vor Angst. Er musste daher die ersten Tage mit Geschirr und Hausleine herumlaufen, damit wir das Ende der Leine nehmen und so zumindest ab und zu mit ihm in den Garten gehen konnten. Auch dort war alles ganz furchtbar aufregend und beängstigend für ihn. Er brauchte jedes Mal eine halbe Ewigkeit, bis er entspannt genug war, um sich zu erleichtern.

Aber Marty ist ein Hund, der ganz dringend eine Bezugsperson und Körperkontakt braucht. Und so dauerte es auch nicht lange, bis er Mut fasste. Nach drei Tagen kam er zu mir und ließ sich kraulen. Und kurz darauf konnte ich ihm dann auch endlich das Geschirr und die Leine ausziehen, sodass er sich im Haus freier bewegen konnte. Sicherheitshalber führten wir ihn zunächst noch an der Leine in den Garten, aber nach wenigen Tagen war klar, dass er keinen Ausbruchsversuch starten würde. Im Gegenteil, er war froh, dass da der Zaun war und kein Fremder zu ihm hereinkam.

Marty taute immer weiter auf. Er war meistens an meiner Seite, auch nachts schlief er von jetzt an in der offenen Hundebox neben meinem Bett. Und bald traute er sich auch zu mir aufs Sofa. Es zeigte sich, dass hinter dem verängstigten kleinen Hündchen ein lustiger, verspielter und enorm neugieriger junger Hund steckte, der im Entdeckermodus jeden Tag etwas Neues lernte und immer fröhlicher und selbstbewusster wurde.

Abends spiele ich immer mit meinen Hunden, und das wollte ich auch mit Marty. Bald fing ich mit einfachen Spielen an. Er war zunächst noch sehr skeptisch und furchtsam, aber nach zwei Tagen hatte er verstanden, dass es nur um Spaß ging. Und seitdem ist er aufgeschlossen und neugierig und geht offen auch auf ganz neue Spiele zu. Aktuell ist er gerade dabei, eines unserer Level 3 Spielzeuge zu knacken. Wirklich schlau, der Lütte.

Er ist sehr ruhig und bellt nur selten, und er hat außer Hundespielzeug auch noch nichts angekaut.

Ich habe direkt von Anfang an mit ihm das Alleinbleiben geübt. Zuerst nur ein paar Minuten, dann langsam länger. Inzwischen bleibt er problemlos bis zu drei Stunden ganz brav alleine.

Abgesehen davon, dass er nicht wusste, dass der Couchtisch nicht zum Drüberlaufen gemacht wurde (woher soll er das auch wissen?), hat er sich hier von Anfang an vorbildlich benommen. Ich bin immer noch erstaunt darüber, dass das auf Anhieb so wunderbar klappte, da er ja erst ein paar Wochen zuvor zum ersten Mal ein Haus von innen gesehen hatte.

Spaziergänge liebt er über alles, auch wenn er am Anfang noch sehr vorsichtig war und sich immer neben oder hinter mir hielt. Ich habe ihm immer die Zeit gelassen, die er brauchte. Ihn lange schnüffeln, stehen und schauen lassen, damit er in seinem Tempo langsam Sicherheit findet. Im Laufe der Zeit wurde er immer selbstbewusster – oder aber er bekam immer mehr Vertrauen in meine Fähigkeiten, ihn zu beschützen, das wird vermutlich eher der Grund sein – und läuft inzwischen fröhlich voran, tobt durchs hohe Gras und legt zwischendurch kurze Sprints ein. Spaziergänger, die uns entgegenkommen, waren anfangs ein großes Problem. Marty verfiel in eine Schockstarre und konnte sich nicht bewegen, bis die an uns vorbeigegangen waren. Inzwischen geht er ganz entspannt weiter. Sogar wenn ein Hund dabei ist, der ihn anpöbelt.

Ich kann es immer noch kaum glauben, wie schnell sich das alles entwickelt hat: Es hat alles in allem nur drei Monate gedauert, aus diesem kleinen Nervenbündel einen ganz normalen, fröhlichen jungen Hund zu machen. Alles, was es dafür brauchte, waren Ruhe, Entspannung und Zeit. Und eine Bezugsperson, die ihm vermittelt, dass sie ihn im Zweifelsfall beschützt. Und das sollte doch jeder Hund haben, auch wenn er keine besonderen Ängste hat.

Die einzige Baustelle, die wir noch haben, ist aktuell mein Mann. Marty akzeptiert zwar, dass er da ist, und er kann sich in seiner Gegenwart inzwischen auch einigermaßen entspannen. Aber er lässt sich von meinem Mann noch nicht anfassen. So weit geht das Vertrauen noch nicht. Auch wenn ich eher vorsichtig bin mit solchen Vermutungen, so bin ich mir bei Marty doch sehr sicher, dass er schlechte Erfahrungen mit Männern gemacht hat. Besonders in speziellen Situationen reagiert er sehr ängstlich. Und insbesondere leicht bekleidete Männer, in kurzen Hosen oder mit nacktem Oberkörper, lassen ihn richtig panisch werden. Jetzt im Sommer kann ich von meinem Mann leider nicht verlangen, niemals eine kurze Hose zu tragen, aber das trägt natürlich dazu bei, dass die beiden sich mit ihrer Annäherung schwer tun. Ich denke aber schon, dass Marty mit seinem fröhlichen, neugierigen Wesen auch diese letzte Hürde noch nehmen wird und bald entdeckt, wie wunderbar man mit Herrchen kuscheln und spielen kann.

Ab dem Herbst werden wir wahrscheinlich langsam nach einem passenden Zweithund Ausschau halten. Ein freundlicher Hundekumpel, der ihm Gesellschaft leistet und ab und zu mit ihm spielt, wäre für Marty sicher eine Bereicherung. Er liebt andere Hunde und hat sein Leben lang in Gruppen gelebt. Er ist so zart und sensibel, dass er es sicherlich auch kennt, gemobbt zu werden. Das wollen wir ihm natürlich keinesfalls antun. Es muss schon gut passen. Aber ich bin mir sicher, wenn wir uns bei der Suche Zeit nehmen, werden wir schon fündig.

Ich bin sehr gespannt darauf, wie unser kleiner Rumäne unser Leben in Zukunft noch bereichern wird. Wir haben es keinen Moment bereut, einem Hund mit Migrationshintergrund ein Zuhause zu geben.

(Inga Jung, August 2021)

Bist du noch Hundebesitzer oder schon Hundefreund?

Wer die Einleitung zu meinem letzten Buch kennt, das im Jahr 2016 erschien, der weiß, dass ich mir schon seit Längerem Gedanken über gewisse Begrifflichkeiten mache. Ich meine insbesondere das Wort „Hundebesitzer“, oder auch „Hundehalter“.

Natürlich ist es rein rechtlich gesehen klar. Ich kaufe einen Hund, er ist mein Eigentum. Aber die Beziehung zum Hund sollte doch weit darüber hinausgehen. Ein Hund ist ein Freund, ein geliebtes Familienmitglied. Wir erwachsenen Menschen nehmen dem Hund gegenüber eine Elternrolle ein, und das ganz ohne vermenschlichen zu müssen. Denn genau dies ist die Rolle, in der unsere Familienhunde uns in aller Regel sehen.

Man könnte natürlich sagen, es ist doch egal, wie man es nennt, das hat doch nichts mit der Beziehung zum Hund zu tun. Aber das ist bedauerlicherweise oft nicht zutreffend. Worte schaffen Bilder im Kopf und Emotionen. Und es erzeugt unterschiedliche Bilder und Gefühle, je nachdem, ob ich von jemandem als mein Eigentum spreche, oder ob ich ihn einen Freund nenne.

Eigentum und Besitz sprechen wir pauschal keine Emotionen zu. Mit Eigentum kann man machen, was man will, und das ist auch in Ordnung so, weil es kein eigenes Gefühlsleben hat. Mein Sofa ist nicht traurig, wenn ich es nach einer langen Nutzungsdauer irgendwann auf den Müll werfe und mir etwas Neues kaufe.  

Bei einem Freund und Familienmitglied ist das anders. Einen Freund kann man verletzen, einen Freund muss man gut behandeln. Die Beziehung zu Freunden und Familie sollte von Liebe und gegenseitigem Respekt geprägt sein. Und unsere Hunde gehören definitiv zu dieser Gruppe, und nicht zur Ersteren.

Ich finde es sehr traurig, dass wir Menschen uns anmaßen, andere Tiere immer noch wie Gegenstände zu behandeln; zu kaufen und zu verkaufen, sie den Kindern zu Weihnachten zu schenken und dann einfach wieder wegzugeben, wenn die Familie keine Lust mehr auf sie hat. Dass wir andere Tiere für zahlreiche Zwecke missbrauchen und ihnen dafür sogar noch spezielle, ganz besonders abwertende Namen geben. Das ist kein Hund, das ist ein Versuchstier. Das ist kein Kälbchen, das ist ein Nutztier. Das ist keine Maus, das ist ein Futtertier. Das ist kein Fisch, das ist ein Köder. Damit haben wir im Handumdrehen fühlende Lebewesen zu Gegenständen gemacht, die wir nach Belieben ausbeuten und töten können, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben. Denn es war doch schließlich nur ein Nutztier. Die Schlange im Zooladen hatte Hunger, tja, Pech für die Maus, sie ist schließlich nur ein Futtertier.

Die Gedankenlosigkeit, mit der wir hierbei vorgehen, finde ich beängstigend und abscheulich. Diese Art, Lebewesen durch eine reine Umbenennung ihre Persönlichkeit zu nehmen und sie zu einer Sache zu degradieren, erinnert  mich auf unheilvolle Weise an die Vorgänge im Dritten Reich. Damals wurden die gleichen Muster benutzt. „Lebensunwertes Leben“ war damals ein Begriff, der den Menschen suggerierte, dass man mit den Ermordeten kein Mitleid zu haben braucht. Was die Opfer darüber dachten, wurde natürlich nicht zur Sprache gebracht. Und genau so gehen wir bis heute mit den Tieren um. Genau die gleichen Mechanismen benutzen wir bis heute. Nur ist das vielen von uns gar nicht bewusst.

Dabei haben unsere Familienhunde noch Glück, denn auch wenn wir weiterhin von Hundebesitzern sprechen, werden die meisten Hunde von ihren Menschen geliebt und müssen nicht befürchten, das grausame Schicksal eines Versuchstiers oder eines Nutztiers erleiden zu müssen. Aber mir ist es wichtig, dass wir uns klar machen, was unsere Sprache in uns auslöst. Was Worte alles bewirken können. Wenn wir uns das immer wieder vor Augen führen, dann laufen wir auch nicht so schnell Gefahr, abzustumpfen und auf abwertende Worte hereinzufallen.

Die Bilder, die die Worte erzeugen, wenn man sie ausspricht, haben mich schon vor vielen Jahren davon überzeugt, dass es wichtig ist, vorsichtig damit umzugehen. Ich rede und schreibe seit Längerem auch nicht mehr von Hundebesitzern. Ich nenne sie beispielsweise Menschen mit Hund, Hundemenschen, Hundefreunde, je nach Kontext. Es erzeugt einfach eine freundlichere Grundhaltung dem Hund gegenüber, und es drückt Respekt vor dem Hund als denkende, fühlende Persönlichkeit aus.

Diesen Respekt sollten wir alle uns bewahren, um unsere Hunde Tag für Tag wirklich fair und gut zu behandeln. Sie haben es vierdient.

(Inga Jung, April 2021)

Muss man wirklich alles trainieren?

Ich weiß es: Mein Hund hat ein paar Baustellen. Insbesondere was andere Hunde angeht. Er mag sie einfach nicht, bis auf wenige Ausnahmen. Und das sagt er laut und deutlich. Wir haben uns im Laufe der Jahre daran gewöhnt und weichen, wenn immer es machbar ist, etwas aus, damit das Gezeter so kurz und schmerzlos wie möglich ausfällt. Wenn wir uns nicht in unserem Stammrevier befinden, haben wir auch manchmal Glück und es gibt gar kein Gezeter. Verlassen sollte man sich aber nicht darauf, das ist tagesabhängig.

Immer noch begegne ich Leuten, die dann meinen, mir kluge Tipps geben zu müssen. Klar, sie kennen Luzis Vorgeschichte nicht und wissen nicht, dass wir in den Anfangsjahren noch mit ganz anderen Dämonen zu kämpfen hatten und dass das, was davon jetzt noch übrig ist, im Grunde nur noch ein fader Nachgeschmack und nicht mehr der Rede wert ist. Aber es gibt sie ja immer, die Leute mit den perfekt geborenen Hunden, die meinen, sie müssten allen anderen Ratschläge geben, weil sie angeblich den Schlüssel zum engelsgleichen Hund hätten.

Am lustigsten war noch der Typ, der angesichts unseres Verschwindens ins Unterholz allen Ernstes raunte: „Niemals der Konfrontation ausweichen!!“ Das ist schon Jahre her und ich lache immer noch beim Gedanken an diesen nicht nur sinnlosen, sondern völlig absurden Tipp. Denn wenn ich meinen sozial unsicheren, impulsiven, schnell gestressten Hund, der 99 von 100 Hunden abgrundtief hasst, einfach in jede Konfrontation hineinlaufen lasse, dann habe ich nichts anderes als eine Beißerei nach der anderen und einen Hund, der sich bald völlig hysterisch in seine Ängste und Aggressionen hineinsteigert. Das hilft mir null. Aber danke vielmals für den tollen Ratschlag, ich habe herzlich gelacht.

Die Leute, die wissen, wer ich bin, sagen dann oft: „Aber du bist doch Hundetrainerin. Wenn dein Hund keine anderen Hunde mag, dann musst du das doch trainieren.“ – Ganz ehrlich: Muss ich das?

Ja, ich weiß, wie man an so einem Problem arbeitet. Ich weiß, wie das geht. Und in den ersten fünf Jahren mit Luzi habe ich es auch noch nach Kräften getan. Aber meine Kleine hat eine so abgrundtief pessimistische Grundeinstellung, dass ein einziger aufdringlicher Hund schlagartig die Erfolge von 100 gut verlaufenen Hundebegegnungen wieder kaputtmacht. Sofort sagt sie: „Siehst du, ich hab doch gewusst, dass fremde Hunde ätzend und gefährlich sind“ und geht ohne Umschweife wieder zu ihrem altbekannten Verhalten über.

Nachdem sich diese Rückschläge mehrfach wiederholt hatten, begann ich, das Problem von einer anderen Seite zu betrachten: Ich wohne in einer Gegend, in der ich vielleicht zweimal in der Woche auf dem Spaziergang einem anderen Hund begegne. Wenn mein Hund diesem Hund dann deutlich macht, dass er ihn doof findet, dann ist das für mich kein Problem, in das ich viel Zeit und Arbeit investiere. Das ist dann einfach so. Und ja, manchmal nervt es mich auch. Aber kurz darauf habe ich es dann auch schon wieder vergessen.

Es ist nicht so, dass mein Hund niemals Sozialkontakte hätte. Luzi hat einen guten Kumpel, der sie auch mag, und sie ist ein absoluter Groupie (man kann es einfach nicht anders bezeichnen) von zwei Rüden aus dem Dorf, die sie ab und zu trifft und die sie abgöttisch liebt. Aber die meisten anderen Hunde in ihrem Revier stehen auf ihrer Hass-Liste. Und das ist eine Angelegenheit, die Luzi sehr persönlich nimmt. Ich denke nicht, dass sie da viel mit sich diskutieren lässt, da ist sie ein absoluter Charakterhund. Selbst wenn ich ihr beibringen könnte, ohne Ausraster an diesen Hunden vorbeizugehen (was ich bei ihrem Temperament bezweifle), täte sie das nur zähneknirschend. Sie kennt halt ihre Pappenheimer. Und ich weiß nicht so recht, ob das ihr gegenüber fair wäre. Sie ist doch nur ehrlich, wenn sie ihre Abneigung in die Welt hinausbrüllt. Soll sie das doch meinetwegen machen, wenn es ihr gut tut.

Selbstverständlich würde ich sie niemals auf einen dieser Hunde zulaufen lassen, das sei hier nur klargestellt. Luzi ist bei Hundebegegnungen immer an der Leine, und wir weichen auch nach Möglichkeit aus. Kein Hund soll sich unnötig von ihr gestresst fühlen oder womöglich angegriffen werden. Sicherheit ist oberstes Gebot. Aber Luzi ist einfach ein Hund, der seine Emotionen lautstark äußert. Auch wenn sie sich freut, hört man das noch drei Häuser weiter. Leise war nie ihr Stil. Das ist ein Charakterzug, der sie ausmacht. Würde ich ihr das abtrainieren, dann würde ich sie verbiegen. Und ich bin mir sehr sicher, dass sie sich dann ein anderes Ventil für ihre überschießenden Emotionen suchen würde. Sie braucht das einfach.  

Luzi liebt es, am Gartenzaun zu liegen und die Straße zu beobachten. Leute ohne Hund lässt sie kommentarlos passieren. Autos, Fahrradfahrer, Reiter, Inlineskater – alles kein Problem. Aber wehe, ein Hund taucht auf, den sie in ihrem Revier nicht haben will. Dann geht natürlich das Gepöbel los.

Aber auch hier muss ich ganz ehrlich sagen: Sie versucht weder, über den Zaun zu springen, noch durch den Zaun hindurchzurennen. Sie pöbelt einfach nur. Und es muss auch keiner direkt neben dem Zaun laufen, die Hundebesitzer können mit reichlich Abstand auf der anderen Straßenseite vorbeigehen. Es besteht zu keinem Zeitpunkt irgendeine Gefahr und niemand muss sich direkt bedroht fühlen. Von daher: So what? Lasst sie doch pöbeln, wie sie lustig ist.

Früher hatte ich noch den Anspruch, das alles zu unterbinden, zu trainieren und zu optimieren. Inzwischen bin ich etwas anders davor. Es ist schlicht und einfach ganz normales Hundeverhalten. Und solange es niemanden gefährdet oder beeinträchtigt, ist es doch auch kein Problem. In der Stadt sähe das vermutlich anders aus, aber hier auf dem Land, wo vielleicht dreimal am Tag ein Hund an unserem Grundstück vorbeiläuft, ist es doch nun echt kein Drama. Ich denke, ein bisschen mehr Toleranz und Lockerheit täte vielen Hundebesitzern durchaus gut. Natürlich immer mit der Einschränkung, dass der eigene Hund mit seinem Verhalten niemanden belästigt, bedroht oder irgendwie dessen individuelle Freiheit einschränkt.

Sicher hätte ich manchmal gern meine liebe, süße Peppi zurück, die alle Menschen und alle Tiere liebte und immer nur Harmonie, Liebe, Spaß und Spiel gesucht hat. Sie war wirklich ein außergewöhnlicher Hund, so feinfühlig und freundlich zu allen, dass ich mich oft gefragt habe, wo sie diese Engelsgeduld hernimmt. Aber Luzi ist eben anders und ich bin der Ansicht, dass das Recht auf freie Meinungsäußerung auch ihr zusteht. Und solange wir gut aufpassen, dass sie mit ihrer überschießenden Art niemandem wehtut, ist das doch okay. Man muss nicht alles trainieren. Leben und leben lassen.

Inga Jung (Juni 2020)

Buchtipp: „Hund auf Rezept“

Dass die Anwesenheit eines Hundes sich gut anfühlt, beruhigt, Sorgen unwichtig erscheinen lässt und einem über Schicksalsschläge hinweghilft wie kein Mensch es jemals könnte, das muss man Hundemenschen nicht erst erzählen – sie wissen es längst.

Wissenschaft arbeitet aber nicht mit Bauchgefühl, sondern mit Fakten. Daher braucht es ein Buch wie dieses, um auch die Skeptiker zu überzeugen.

Dr. Milena Penkowa hat für ihr Buch „Hund auf Rezept. Warum Hunde gesund für uns sind“ zahlreiche wissenschaftliche Studien aus aller Welt durchsucht und eine Unmenge an Daten und Fakten zusammengetragen, die mit wissenschaftlichen Methoden nachweisbar belegen, dass Hunde nicht nur gut für uns sind. Sie können tatsächlich durch Stärkung unseres Immunsystems Krankheiten verhindern und durch die Aktivierung wohltuender Hormone bereits vorhandene Krankheitssymptome lindern.

Es ist allgemein bekannt, dass Hunde Krebs erschnüffeln, epileptische Anfälle vorausahnen und eine drohende Unterzuckerung bei Diabetikern zuverlässig anzeigen können. Als Assistenzhunde sind sie bereits in vielen Bereichen unverzichtbar. Auch in der Betreuung von Kindern mit Lern- bzw. Leseschwächen wurde das Potenzial von Hunden als Begleiter anerkannt und immer mehr Büros lassen Hunde zu, weil entdeckt wurde, dass die Mitarbeiter in Anwesenheit eines Hundes ausgeruhter, entspannter und freundlicher sind. Hunde haben eine unglaubliche Gabe, beim Menschen Stress zu reduzieren und ihm ein Lächeln auf die Lippen zu zaubern. Warum das so ist und dass es sich dabei keineswegs um Einbildung oder eine subjektive Empfindung handelt, das ist unter anderem das Thema dieses Buches.

Dr. Penkowa nimmt zudem verschiedene schwere Krankheitsbilder wie Alzheimer/Demenz, Krebs und Parkinson unter die Lupe und zählt Studien auf, die nachweisen, dass allein eine kurze Interaktion mit einem Hund bei diesen schwer kranken Menschen den Medikamentenbedarf über mehrere Tage hinweg reduziert und bei den Patienten dauerhaft zu mehr Wohlbefinden führt.

Dass es nicht häufiger in Krankenhäusern zu Hundebesuchen kommt, ist meist den strengen Hygienevorschriften dieser Einrichtungen geschuldet. Doch auch dazu hat Dr. Penkowa eine Reihe von Untersuchungen parat, die belegen, dass der Besuch eines gesunden, geimpften und entwurmten Hundes selbst bei stark immungeschwächten Patienten keinerlei Gefahren mit sich bringt.

Wenn man sich hingegen überlegt, wie viele Patienten sich pro Jahr im Krankenhaus ganz ohne Hundebesuch mit multiresistenten Keimen anstecken und daran teilweise sogar sterben, dann wirken solche Hygienebedenken geradezu grotesk lächerlich. Da hätte ich schon eher Angst davor, dass der Hund sich im Krankenhaus so einen Keim einfängt.  

Womit wir auch schon bei meinem einzigen Kritikpunkt an diesem ansonsten wirklich großartigen Buch wären: Es dreht sich hier in erster Linie um Menschen und darum, wie Hunde uns helfen können. Doch gerade wenn wir den Hund so zu unserem eigenen Vorteil ausnutzen, dann wäre es nur allzu fair, sich mindestens genauso viele Gedanken darum zu machen, wie es dem Hund dabei geht.

Inklusive Literaturhinweise hat das Buch 186 Seiten. Und erst auf Seite 156, noch hinter den Angaben über die besprochenen wissenschaftlichen Methoden, kommt endlich ein kleines Kapitelchen zum Thema Wohlergehen des Hundes. Das finde ich wirklich enttäuschend. Wie viele Leute gibt es wohl, die gar nicht mehr bis dorthin lesen? Ich hätte mir dieses Kapitel ganz am Anfang an prominenter Stelle gewünscht, mit weiteren Hinweisen dazu im Text.

Denn im gesamten vorigen Buch liest es sich oft so, als müsse sich jeder Patient nur einen Hund anschaffen, und schon geht es ihm besser. Das mag auch so sein, dennoch wäre es völlig verantwortungslos, wenn sich ein depressiver Mensch, der sich an manchen Tagen nicht einmal um sich selbst kümmern kann, einen Hund anschafft, der dann womöglich völlig vernachlässigt wird. Oder ein Mensch, der aufgrund seiner fortschreitenden körperlichen Erkrankung schon weiß, dass er sich in wenigen Jahren nicht mehr um einen Hund kümmern kann. Was passiert dann mit dem Vierbeiner? Und wie sieht es mit den Finanzen aus? Kranke Menschen sind oft auch nicht mehr arbeitsfähig. Haben sie auch genug Geld, um sich dauerhaft um einen Hund zu kümmern, auch wenn der mal krank wird und hohe Tierarztkosten anfallen?

Ich sah neulich eine Dokumentation über die Tiertafel, wo genau solche Fälle mehrfach aufschlugen. Die Tiertafeln kümmern sich um die Versorgung von Tieren, deren Menschen in Not geraten sind. Aber Voraussetzung ist hier, dass das Tier schon vorher da war. Wenn sich jemand, der kein Geld hat, einen Hund anschafft, dann bekommt er auch keine Unterstützung. Ein Hund ist nun mal teuer, und darüber muss man sich vor der Anschaffung Gedanken machen. Hier war es aber tatsächlich so, dass mehrere Menschen zur Tiertafel kamen, denen ihr Arzt empfohlen hatte, dass sie sich wegen ihrer psychischen Probleme einen Hund anschaffen. Gegen die psychischen Probleme hat der Hund zunächst auch geholfen, aber als dann klar wurde, dass seine Versorgung Geld kostet, hatte der Mensch gleich wieder ein neues Problem.

Hier würde ich mir auch in diesem Buch, das vermutlich viele Menschen lesen, die im sozialen oder medizinischen Bereich tätig sind, ausdrückliche Hinweise wünschen, damit solche Empfehlungen nicht leichtfertig ausgesprochen werden. Was nützt es dem Menschen, wenn er sich nun immer Sorgen darüber machen muss, wie er seinen Hund durchfüttern soll? Das macht ihn auf Dauer auch nicht glücklich.

Ebenso fehlt mir der deutliche Hinweis darauf, dass Eltern die volle Verantwortung für das lebenslange Wohlergehen eines Hundes tragen, der für das kranke Kind angeschafft wurde. Und zwar an einer frühen Stelle des Buches und nicht irgendwo am Ende. Ein Hund ist kein Kuscheltier, das man aus einer Laune heraus anschafft und nur dann zum Spielen hervorholt, wenn man gerade Lust darauf hat.

Rücksichtnahme auf den Hund und Erholungspausen mit Spiel und Spaß sind enorm wichtig, gerade wenn es dem Menschen nicht gut geht. Ich kenne Hunde, die so sensibel und empathisch waren, dass sie monatelang traurig neben ihrem krebskranken Menschen saßen, bis sie schließlich selbst voller Tumore waren. Ebenso gibt es zahlreiche Hunde, die die Depression ihres Menschen nicht ertragen haben und selbst depressiv wurden. Zu viel Einfühlungsvermögen kann auch einen Hund krank machen. Dann ist er wiederum derjenige, der Hilfe braucht.

Wir dürfen bei allen Vorteilen, die die Gesellschaft eines Hundes uns bietet, niemals vergessen, dass wir es mit einem fühlenden Lebewesen zu tun haben, das ebenso das Bedürfnis nach einer guten Lebensqualität hat, wie wir.

 (Inga Jung, Februar 2019)