Ich hatte im Juni letzten Jahres noch erzählt, dass Marty fürchterliche Angst vor Besuchern hat. Aber dass er von meiner Freundin, mit der wir oft spazieren gehen, Leckerlis nimmt und wir mit ihr bald ein Besuchertraining starten wollen. – Gesagt, getan. Im vergangenen Sommer ging es los. Und wie ich es erwartet hatte, klappte es ganz wunderbar.
Voraussetzung war zunächst, dass wir erst einmal mit unseren Hunden gemeinsam spazieren gingen, so wie Marty es bereits kannte. Nach dem Spaziergang gingen wir dann alle zusammen in unser Haus und gleich durch in den Garten, wo viel Platz war. Marty konnte sich entscheiden, ob er lieber Abstand halten oder nah zu uns herankommen wollte. Und die Hunde gaben ihm Sicherheit und lenkten ihn von den Menschen ab. Das war ein voller Erfolg.
Noch zweimal machten wir es auf diese Weise, trafen uns zuerst draußen zu einem kleinen Spaziergang und gingen dann zusammen ins Haus. Die Hunde spielten und wir unterhielten uns. Marty blieb entspannt. Er kannte alle anwesenden Menschen, und es war auch kein Mann dabei. Vor Frauen hat er weniger Angst.
Da das so gut klappte, ließ ich meine Freundin beim nächsten Mal direkt ins Haus. Wichtig war nur, dass sie nicht klingelte, damit Marty sich nicht aufregte. Sie schob ihre Hündin als Erstes durch die Tür in den Flur, und so hatte Marty direkt seine kleine Freundin vor der Nase und gar keine Zeit, sich über den Gast aufzuregen. Auch das funktionierte wunderbar.
Zum Schluss waren wir dann so weit, dass meine Freundin auch ohne Hund unser Haus betreten konnte. Diese Situation findet Marty noch ziemlich aufregend. Aber es geht. Er rennt nicht weg und greift auch nicht an. Er bellt nur. Das ist okay. Er bellt auch nach wie vor, wenn mein Mann nach Hause kommt, einfach weil das ein aufregender Moment ist und er dann auch immer noch seine Käsewürfel erwartet. Wir füttern diese weiterhin, wenn mein Mann nach Hause kommt, um die positive Verknüpfung aufrechtzuerhalten. Denn Marty lässt sich von ihm immer noch nicht anfassen. Abgesehen davon kommen die beiden inzwischen aber schon ganz gut miteinander zurecht.
Aber wir waren bei den Fortschritten. Der Besuch meiner Freundin ist jetzt also in Ordnung. Der Besuch von Männern ist weiterhin schwierig. Aber solange Marty in meinem Arbeitszimmer hinter dem sicheren Kindergitter ist, bleibt er die ganze Zeit ruhig und relativ entspannt im Hundebett, während der Besuch da ist. Er bellt nicht und läuft auch nicht umher. Das sehe ich ebenfalls schon als Fortschritt. Solange es ihn nicht stresst, im Arbeitszimmer zu bleiben, ist das durchaus eine gute Alternative.
Einen weiteren Erfolg können wir in puncto Krallenschleifen verzeichnen. Marty hatte von Anfang an recht lange Krallen, und diese wurden immer länger und länger. Schneiden war schwierig, denn wenn ich da aus Versehen mal bei seinen sehr dunklen Krallen zu viel erwischt und ihm wehgetan hätte, dann hätte ich das für alle Zeiten vergessen können. Also habe ich mir gedacht, Schleifen ist die bessere Alternative.
Anfang 2022 fing ich an, mit Marty das Krallenschleifen zu üben. Jeden Tag nur ein paar Minuten. Es war mühsam. Zuerst habe ich ihn nur an das laufende Gerät gewöhnt und ihn dabei gekrault. Dann habe ich das Gerät seinen Pfoten angenähert und ihn weiter gekrault.
Nach einigen Monaten konnte ich den Krallenschleifer an eine Kralle halten, während ich weiter kraulte. Aber so kann man nicht vernünftig schleifen. Man braucht seine zweite Hand, um die Kralle festzuhalten, damit man mit dem Schleifgerät richtig arbeiten kann. Bis wir so weit waren und das in ersten Ansätzen klappte, vergingen weitere sechs Monate.
Wir übten fleißig jeden Tag weiter. Mal ging es besser, dann wieder schlechter. Es war tagesformabhängig, wie viel Marty mir erlaubt hat. Das Wichtigste beim Üben war, dass er jederzeit die Pfote wegziehen durfte, wenn er nicht mehr wollte. Nur dieses Prinzip hat es mir überhaupt ermöglicht, mit ihm so weit zu kommen. Und meine Geduld hat sich ausgezahlt.
Inzwischen darf ich jeden Tag mindestens zwei Krallen ein paar Sekunden schleifen. Manchmal sogar länger. Da wir weiter täglich üben, haben wir uns langsam vorgearbeitet und alle vier Pfoten einmal durch. Ich würde seine Krallen noch nicht als kurz bezeichnen, aber sie haben nun alle eine normale Länge und splittern auch nicht mehr. Das ist großartig. Ein Ziel, das lange Zeit in weiter Ferne zu sein schien, ist endlich erreicht.
Und es gibt noch einen weiteren Fortschritt: Marty hat entdeckt, dass es Spaß macht, einen Trick zu lernen. Zumindest zu Hause ohne Ablenkung. Und dass ihm nichts Schlimmes passiert, wenn er sich von meiner Hand (mit einem Käsestückchen darin) locken lässt und ihr hinterherläuft. Das ist für ihn ganz und gar nicht selbstverständlich. Das Prinzip, dass er etwas tun sollte, um seine geliebten Käsestückchen zu bekommen, erschloss sich ihm nicht. Er zog sich zurück und sah mich an, als wollte er sagen: „Mach doch deinen Kram alleine, dann ess ich eben keinen Käse.“ Und wenn ich ihn mit einem Leckerli locken wollte, bekam er direkt Panik.
Ich vermute, dass damals in Rumänien in so einer Situation sein Vertrauen missbraucht wurde. Dass er mit Futter gelockt und dann gepackt wurde, als er beispielsweise zum Tierarzt gebracht werden sollte. Solche „Einfangsituationen“, wenn man nach ihm greift, ihn festhält oder ihm den Weg versperrt, sind immer noch starke Angstauslöser bei ihm. Selbst das tägliche Anziehen des Geschirrs zum Spaziergang ist weiterhin schwierig, auch wenn das schon deutlich besser klappt als noch vor ein paar Monaten.
Inzwischen hat sich aber viel getan. Ich habe mit Marty immer mal wieder den Handtouch geübt. Das fand er zuerst total gruselig und hat auch nicht verstanden, was das soll. Warum sollte er die Hand mit der Nase berühren, obwohl da gar kein Futter drin ist? Er war sehr misstrauisch und schreckhaft.
Aber irgendwann machte es Klick bei ihm und er fand Spaß an der Übung. Und nun ist der Handtouch sein Lieblingstrick. Egal wo Marty gerade war, er kommt sofort fröhlich angehopst, wenn er das Signal „Touch“ hört, stupst meine Hand an und schaut mich erwartungsvoll an. Zumindest drinnen. Draußen sind die Ablenkungen oft noch zu groß. Aber wir arbeiten dran.
Und auch das Folgen der Hand mit dem Leckerli war irgendwann plötzlich gar nicht mehr so furchteinflößend. Inzwischen dreht er sich schon in beide Richtungen um seine eigene Körperachse und folgt meiner Hand in sein Hundebett und hinaus, aufs Sofa oder auf die Treppe, ohne Angst zu bekommen. Ich kann ihn auch mit der Hand an eine bestimmte Stelle führen, ihm ein kurzes „Bleib“ signalisieren und ihn dann mit dem Handtouch zu mir rufen. Diese kleine Übung bringt ihm riesigen Spaß.
Das alles eröffnet uns ganz neue, vielfältige Möglichkeiten und ich bin sehr gespannt, was uns die Zukunft noch so bringt. Vielleicht hat Marty ja doch irgendwann noch mal Lust, auch anspruchsvollere Tricks zu lernen. Erst einmal stehen aber der verlässliche Rückruf, das Bleiben in meiner Nähe und das An- und Ableinen ohne Panikattacken auf unserem Zettel, denn ich denke, Marty ist ein Hund, der sehr gut frei laufen könnte und der das wirklich genießen würde. Er hat kaum jagdliche Ambitionen (außer in Bezug auf Mäuse und Eichhörnchen) und achtet beim Spaziergang immer sehr auf mich. Und er möchte so gern rennen. Die paar Meter, die ihm unsere lange Leine an Freiraum bietet, sind eigentlich zu wenig für ihn. Mal sehen, ob ich ihm das nicht bald ermöglichen kann.
(Inga Jung, Januar 2023)