Sehr gerne lese ich neue Texte des Verhaltensforschers Dr. Udo Gansloßer und der Tierärztin Sophie Strodtbeck. Besonders Dr. Gansloßer brachte mich mit seinem Verständnis der Zusammenhänge zwischen dem Verhalten des Hundes und der dabei ablaufenden neurologischen Vorgänge schon des Öfteren auf Lösungen, die ich alleine vielleicht nicht gefunden hätte.
In der Januar-Ausgabe 2014 der Zeitschrift Der Hund haben die beiden einen kurzen Artikel über das Bellverhalten von Hunden veröffentlicht. Der Artikel selbst brachte mir nicht viele neue Erkenntnisse, es war eher so, dass mich die Knappheit, mit der das Thema behandelt wurde, etwas ärgerte. Ich vermute, es lag an der vorgegebenen Zeichenbegrenzung, denn über die verschiedenen Ursachen, Motivationen und Variationen des Hundebellens könnte man schließlich ein ganzes Buch schreiben. Durch den begrenzten Platz musste man sich vermutlich auf eine unvollständige Behandlung des Themas beschränken.
Was mich aber an dem Artikel faszinierte, war ein Satz: „In Untersuchungen […] wurde festgestellt, dass pessimistische Hunde viel häufiger zu Bellstörungen neigen als optimistische.“
Pessimistische und optimistische Hunde! Das wird so einfach in einem Nebensatz erwähnt, als sei es das Selbstverständlichste der Welt, und doch lese ich hier zum ersten Mal – aus der Feder eines bekannten Verhaltensforschers – dass Hunden ein optimistischer oder pessimistischer Charakter zugeschrieben wird. Ich finde diese Aussage großartig und sie regt ungemein zum Nachdenken an.
Sicher kann man die Charaktere von Hunden und Menschen nicht eins zu eins gleichsetzen. Das, was beim Menschen als pessimistische Grundeinstellung betrachtet wird, muss nicht exakt das Gleiche sein, was man beim Hund darunter versteht.
Aber auch mir ist schon des Öfteren aufgefallen, dass es Hunde gibt, die sich negative Erfahrungen extrem einprägen und offenbar noch lange Zeit nach dem Ereignis ihr Verhalten danach ausrichten. Und dass es wieder andere Hunde gibt, die sich durch negative Erfahrungen überhaupt nicht irritieren lassen, sondern einfach weitermachen als sei nichts geschehen. Ich wäre allerdings nicht so weit gegangen, dies als pessimistische oder optimistische Einstellung zu betrachten, sondern ich ging bisher eher davon aus, dass es mit einem Zusammenspiel der erblichen Veranlagung des Hundes und seiner Entwicklung sowie seiner Erfahrungen in der Sozialisationsphase zusammenhängt, wie er mit negativen Erfahrungen umgeht. Denn um diese gut verkraften zu können, benötigt man eine gute Basis und ein gewisses Repertoire an möglichen alternativen Verhaltensweisen.
Ein Beispiel:
Ein Hund, der in der Welpenzeit nicht ausreichend mit Hunden verschiedener Rassen gespielt hat, hat ein begrenztes Verhaltensrepertoire für Hundebegegnungen entwickelt. Eines Tages stößt er auf einen Hund, der auf das Verhalten, welches unser Hund bei Hundebegegnungen bisher immer gezeigt hatte, aggressiv reagiert. Unser Hund macht die Erfahrung, dass sein Verhalten keinen Erfolg hat. Er hat aber keine Alternative, auf die er zurückgreifen könnte. Folglich ist er verunsichert und reagiert nun ebenfalls mit Aggression.
Hätte unser Hund aber in der Welpenzeit durch ausreichend Spiel mit verschiedenen Sozialpartnern mehr Alternativen entwickelt, dann wäre er durch diese Begegnung weniger frustriert und verunsichert gewesen, denn er hätte zunächst ein alternatives Verhalten ausprobieren können, das vielleicht eher zum Erfolg geführt hätte.
Ist nun der eine Hund pessimistischer als der andere, weil er schneller verzweifelt? Oder hat er einfach durch seine schlechtere Ausgangsbasis weniger Aussichten auf Erfolge und ist daher auch ohne eine spezielle charakterliche Veranlagung schneller zum Scheitern verurteilt?
Oder stellt es sich doch wieder ganz anders dar? Könnte man den Spieß umdrehen und sagen, dass pessimistische Hunde sich mit dem Erlernen sozialer Fähigkeiten und Verhaltensoptionen schwerer tun als optimistische und daher mehr positive Erfahrungen benötigen als beispielsweise ihre optimistischen Geschwister? Möglich wäre es durchaus, und es würde auch erklären, warum in ein- und demselben Wurf manche Welpen deutlich anpassungsfähiger und offener sind als andere.
Meines Wissens nach wurde das noch nicht ausreichend erforscht, aber sagen Sie mir gerne Bescheid, wenn Sie etwas darüber lesen. Die Antwort auf diese Frage interessiert mich sehr.
(Inga Jung, Januar 2014)