Immer wieder erzählen mir Leute, ihr Hund „stehle wie ein Rabe“. Das hört sich dann zum Beispiel so an: „Während ich vor dem Fernseher sitze und vor mir die Chipstüte habe, liegt er ganz arglos neben mir. Aber wenn ich auch nur kurz aufstehe und weggehe, klaut er sich sofort die Tüte vom Wohnzimmertisch!“
Ist das wirklich ein Diebstahl? Schauen wir uns das einmal genau an.
Leben mehrere Hunde zusammen, dann hat jeder, der Futter ergattern konnte, das Recht, dies in Ruhe aufzufressen. In der Regel wird dieses Recht von den anderen Hunden respektiert, und wenn nicht, dann darf der Hund seinen Besitz gegen die anderen verteidigen. Auch ein Welpe hat das Recht, einen Erwachsenen von seinem Futter zu vertreiben.
Steht der Hund, der das Futter hat, aber auf und lässt seine Reste liegen, dann ist das ein Zeichen für die anderen, dass sie sich bedienen dürfen. Denn derjenige, der das Futter als Erster hatte, hat es durch sein Aufstehen und Weggehen für die anderen freigegeben.
Die anfangs geschilderte Situation beschreibt nichts anderes. Sobald wir aufstehen und unser Essen in Hundenasenhöhe auf dem Wohnzimmertisch liegenlassen, signalisieren wir unserem Hund, dass er sich nun bedienen darf. Tut er das, ist dies aus seiner Sicht absolut in Ordnung. Das, was wir als „Klauen“ bezeichnen, ist für den Hund also erst einmal Normalverhalten: Er nimmt sich schließlich nur das, was andere übriggelassen haben.
Natürlich kann man einem Hund beibringen, das Essen trotzdem auf dem Tisch liegenzulassen. Je niedriger der Tisch aber ist (und je mehr auf Hundehöhe), desto schwerer wird das dem Hund zu vermitteln sein, denn es widerspricht seiner natürlichen Denkweise. Schließlich hat man ihm das Essen geradezu vor die Nase gelegt, da ist es für ihn einfach nicht verständlich, warum er davon nicht auch etwas probieren sollte.
Manchmal hilft tatsächlich nur eines: Aufräumen!
Vor allem wenn es sich um Lebensmittel handelt, die für einen Hund sehr giftig sind, wie beispielsweise Schokolade oder Rosinen, sollte man es keinesfalls dem Zufall überlassen, ob der Hund sich an unseren Resten bedient oder nicht. Denn so ein Experiment könnte lebensgefährliche Folgen für ihn haben.
Aber auch wenn er ungefährliche Lebensmittel erwischt: Mit jedem Erfolgserlebnis wird es wahrscheinlicher, dass der Hund sein Verhalten wiederholt – und vielleicht sogar auf Esstisch und Küchen-Arbeitsplatte ausdehnt.
Wie so oft, ist auch hier wieder unsere Verantwortung gefragt. Der Hund kann die Folgen seines Handelns nicht abschätzen, wir dagegen schon. Wenn wir einfach darauf achten, dass kein Essen, das nicht für den Hund bestimmt ist, unbeobachtet herumliegt, wird er gar nicht erst in Versuchung geführt.
So kann ein unerwünschtes Verhalten, das aufgrund seines selbstbelohnenden Charakters nur schwer wieder abzutrainieren ist, wenn es sich erst einmal gefestigt hat, einfach von vornherein vermieden werden. Und ein bisschen Ordentlichkeit schadet schließlich nicht.
(Inga Jung, erstmals veröffentlicht im Newsletter August 2013)