Was macht eigentlich … mein Zappelhund?

Es ist ist inzwischen vier Jahre her, dass ich das Manuskript für mein zweites Buch „Zappelhunde. Vom Leben mit überaktiven Hunden“ abgeschlossen habe. Damals war meine Luzi fünf Jahre alt. Inzwischen ist sie neun und ich möchte ein kleines Resümee ziehen. Was hat sich in den letzten neun Jahren verändert? Was ist gleich geblieben? Wie lebt es sich mit der Zappeltante?

Luzi zog im Dezember 2008 bei uns ein, damals war sie etwa viereinhalb Monate alt. Im Nachhinein ein ungünstiger Zeitpunkt, denn während des Zahnwechsels sind sensible Hunde noch leichter zu beeindrucken, als ohnehin schon. Aber was soll’s – in Luzis ersten Lebensmonaten war bereits einiges schiefgelaufen, das einfach nicht mehr rückgängig zu machen war, und ich machte einfach das Beste draus. Wer mehr darüber erfahren möchte, dem kann ich nur mein Buch „Zappelhunde“ ans Herz legen, in dem Luzis Geschichte einen zentralen Raum einnimmt.

Anfangs kam ich sehr oft an meine Grenzen. Luzi hatte Angst vor meinem Mann und lief immer vor ihm weg, was er mit einem beleidigten „dann eben nicht“ entgegennahm und sich darauf beschränkte, sie bei ihren zaghaften Annäherungsversuchen meist wegzuscheuchen. Ich konnte also von dieser Seite keinerlei Hilfe erwarten und stand mit diesem felligen kleinen Nervenbündel alleine da. Ich weiß noch, dass ich mir zu dieser Zeit sehr oft gewünscht habe, Luzi einfach mal nur für einen einzigen Tag in Betreuung zu geben und mal durchzuatmen. Aber das war schlicht unmöglich. Sie brachte mich so oft zur Verzweiflung, dass ich mit den Nerven häufig total am Ende war.

Das größte Problem war ihre Angst vor fremden Menschen, und wir wohnten in den ersten Jahren in einer Gegend, in der wir jeden Tag auf dem Spaziergang Menschen begegneten. Es war furchtbar anstrengend, immer auf der Hut zu sein und Luzi abzuschirmen, denn sobald sie sich bedroht fühlte (und dafür reichte ein einziger Blick eines Femden), ging sie zum Angriff über. Meine Aufgabe war es, das zu verhindern und sowohl Luzi, als auch den Passanten Sicherheit zu geben. Das hat nicht immer geklappt, aber im Laufe der Zeit machten wir Fortschritte, und nach eineinhalb Jahren begann Luzi mir endlich zu vertrauen. Von da an ging es schneller voran.

Wie ist es heute?

Wir leben jetzt seit sechs Jahren in einem sehr kleinen Dorf, und uns kommen nur selten Menschen entgegen. Die Straßen sind breit und es gibt keine Bürgersteige, auf denen wir uns an Passanten vorbeiquetschen müssen. Das alles kommt Luzi sehr entgegen und hat enorm zu ihrer Entspannung beigetragen.

Kommen uns Menschen ohne Hund entgegen, nehme ich Luzi natürlich weiterhin an die Leine, aber ich muss sie nicht mehr abschirmen oder besonders auf sie aufpassen. Im Nebel oder in der Dämmerung ist Luzi natürlich, rassetypisch, aufmerksamer als im hellen Sonnenlicht. Da muss ich ihr schon manchmal sagen, dass der einsame Mensch, der uns auf dem Weg entgegenkommt, keine Gefahr darstellt. Dafür haben wir unser Beruhigungswort „alles gut“, das ihr signalisiert, dass sie sich entspannen kann.

Manchmal, wenn auch selten, kommt es inzwischen sogar vor, dass Luzi einen Menschen auf Anhieb sympathisch findet und sogar zu ihm hin möchte und sich streicheln lässt. Das gleiche Phänomen gibt es übrigens auch bei Hunden. Die meisten Hunde hasst sie wie die Pest, aber manchmal, ganz selten, gibt es Hunde, die sie einfach toll findet. Und die haben bei ihr dann auch Narrenfreiheit. Aber nur diese Hunde. Sonst keiner. Damit das klar ist. Ein echter Charakterhund verteilt seine Sympathien sehr gezielt.

Hier auf dem Dorf gibt es auch ein paar Leute, die glauben, sie könnten sich die Freundschaft meines Hundes mit Leckerlis erkaufen. Aber da liegen sie bei Luzi falsch. Sie nimmt zwar das Leckerli an, aber das hält sie nicht davon ab, diese dreisten Menschen, die sich ihr ungefragt genähert haben, danach dann noch ordentlich zu verbellen, damit die bloß wieder weggehen. So einfach kriegt man Luzi nicht, da muss man schon überzeugender sein.

Nach wie vor bin ich für Luzi das Maß der Dinge. Menschen, die ich mag und mit denen ich mich gern unterhalte, sind auch für Luzi okay. Wenn mich jemand anspricht und ich gerade keine Lust auf eine Unterhaltung habe, spürt Luzi das sofort und betrachtet denjenigen mit Misstrauen. Es kann auch sein, dass sie dann leise knurrt.

Wie steht es nun um die Zappelei?

Das Schöne am Dorfleben ist, dass ein bellender Hund niemanden stört. Unser Nachbar sagte mal: „Wenn ein Hund hier nicht bellen darf, wo darf er das dann?“ Das war für mich eine große Erleichterung, denn es nahm mir den Druck. Versucht man nämlich, mit Luzi irgendwas schnell umzusetzen, dann geht das garantiert nach hinten los. Sie spürt sofort, dass man unter Zeitdruck steht, und dann rastet sie erst recht aus. Alles, was man mit Luzi macht, sollte so entspannt und ruhig wie möglich geschehen, dann klappt es am besten. Das ist nach wie vor so.

Luzi ist ganz und gar kein Dauerkläffer, aber wenn sie sich aufregt, dann ist ihr Kreischkläffen dafür umso unerträglicher. Mein Mann und ich machen oft Witze darüber, dass unsere alte Hündin Peppi bestimmt nur deswegen taub geworden ist, weil sie Luzis Geräuschkulisse nicht mehr ertragen hat. Manchmal bin ich da auch richtig neidisch auf sie.

Inzwischen können wir den Spaziergang einigermaßen ruhig starten, indem ich sofort nach dem Verlassen des Hauses in der Einfahrt Leckerlis werfe, nach denen Luzi sucht. Dadurch kann ich ihre Aufregung umlenken. Das klappt sehr gut – es sei denn, es ist irgendwas anders als sonst. Wenn zum Beispiel einer der Nachbarshunde auf der Straße unterwegs ist, oder wenn am Wochenende mein Mann mit auf den Spaziergang kommt, dann ist das für unsere kleine Autistin wieder zu viel Veränderung, und sie fängt mit ihrem ohrenbetäubenden Gekreische an. Ja, auch jetzt noch, im Alter von neun Jahren. Ich fürchte, das wird nie aufhören.

Wenn ihr irgendwas nicht schnell genug geht, äußert sie das nach wie vor in allen möglichen Tonlagen. Gehen wir nicht schnell genug Gassi, wird die Terrassentür nicht schnell genug geöffnet, steht der Futternapf nicht schnell genug auf dem Boden, kommt einer von uns nicht schnell genug von der Arbeit nach Hause (auch wenn der andere zu Hause ist, das ist völlig egal), sogar wenn wir nach dem Abschalten des Fernsehers nicht schnell genug ins Bett gehen – alles wird von Luzis Gewinsel und Gejaule begleitet. Ich sage oft, Luzi ist eine typische Deutsche: Egal, wie gut es ihr geht, sie hat immer was zu jammern.

Kennen Sie das Placebo-Cover des Songs „Where is my Mind“ von den Pixies? Ich mache oft Witze darüber, dass Luzi und ich damit als Duett auftreten könnten. Sie beherrscht das begleitende „Uuuuhuuuh“ perfekt und hat sogar die exakte Tonlage drauf. Ich kann mir Luzi ohne ihr tägliches Gejammer und Genörgel gar nicht mehr vorstellen. Wenn sie damit mal aufhören sollte, ist sie bestimmt krank.

Fahren wir zum Gassigehen irgendwohin, dann wird diese Fahrt stets von Luzi lautstark kommentiert. Sie fängt mit leisem Gewinsel an und steigert sich über Jaulen bis hin zu hysterischem Getriller, das einem verrückt gewordenen Kanarienvogel ähnelt. Man muss sie dabei tatsächlich verbal unterbrechen, sonst wird sie immer hysterischer und kann sich irgendwann selbst nicht mehr stoppen. Nach der Unterbrechung maunzt sie wie ein todtrauriges Kätzchen, bevor sie dann wieder mit ihrer Jaul-Tirade beginnt.

Die Rückfahrt dagegen ist immer angenehm ruhig. Wenn sie weiß, dass es nach Hause geht, gibt es für Luzi keinen Grund zur Aufregung, und sie entspannt sich.

Seit ein paar Jahren ist Luzi zu Hause sogar in der Lage, sich selbstständig nach oben ins Schlafzimmer zurückzuziehen. Das ist ein großer Fortschritt, nachdem sie mich in der Anfangszeit immer auf Schritt und Tritt verfolgt hatte, und ich freue mich sehr darüber.

Wenn sie oben schläft, ist sie aber trotzdem ständig mit einem Ohr wach. Gehe ich abends ins Badezimmer und öffne meine Zahnpastatube, bewegt Luzi sich nicht. Öffne ich aber ihre Zahnpastatube, dann kommt sie sofort angerannt. Selbst oben im ersten Stock hört sie genau den Unterschied.

Luzi ist auch nach wie vor absolut kuschelverrückt und lässt sich durch Massage und Streicheleinheiten wunderbar beruhigen. Sie liebt vor allem ihre Wellnessmassage, bei der ich oben in der Mitte des Kopfes beginne und dann die gesamte Wirbelsäule runter massiere. Das fordert Luzi täglich ein, indem sie sich in der passenden Haltung vor mich setzt. Und ich merke, wie gut es ihr tut und wie es zu ihrer Entspannung beiträgt. Bei einem so verrückten Hund wie Luzi darf man solche Chancen niemals ungenutzt lassen.

Alles in allem ist unser Leben inzwischen gut eingespielt. Der Alltag läuft wunderbar. Wir kennen Luzis Macken und kommen damit zurecht, und solange nichts Ungewöhnliches passiert, ist es auch lange nicht mehr so schlimm wie früher.

Was wir uns mit Luzi abschminken können, sind Ausflüge und Urlaubsreisen. Wer mit Luzi etwas unternimmt, was vom Alltag abweicht, der ist schlicht und einfach selbst schuld, wenn er am Ende des Tages mit einem Trommelfellschaden, Schulterschmerzen und einem gereizten Nervenkostüm dasteht.

Vor zwei Jahren waren wir das letzte Mal im Urlaub (in einem abgelegenen Ferienhaus, etwas anderes ist mit Luzi völlig undenkbar) und haben von dort aus einen Ausflug in den Bärenwald Müritz gemacht, der der Tierschutzstiftung Vier Pfoten angehört. Luzi hat vom Rausspringen aus dem Auto bis zum Eingang des Bärenwaldes den gesamten Parkplatz und Vorplatz derartig zusammengeschrien, dass die Menschen entsetzt in alle Richtungen weggestoben sind und uns angeschaut haben, als würden wir dem Hund den Bauch aufschlitzen. Ich kann es ihnen nicht verdenken, denn genauso hört sich das auch an.

Mein Mann wollte schon umdrehen und wieder fahren, aber ich wollte unbedingt den Park sehen, und nach einer Viertelstunde hatte Luzi sich dann auch wieder so weit im Griff, dass sie nur noch in die Leine gesprungen und daran gezerrt hat. Und glauben Sie mir, im Gegensatz zu dem Gekreische ist das eine geradezu angenehme Alternative.

Obwohl uns Luzis Verhalten ohne Ende Nerven kostet, denke ich, dass es für sie selbst sogar etwas Positives ist. Sie ist sehr stressanfällig und nimmt neue Reize ungefiltert auf. Das belastet sie sehr. Dadurch, dass sie diese Belastung aber sofort in Aktivität (Rennen, Springen, uns in die Arme beißen) und Gekreische umsetzt, schadet ihr das nicht. Das ist ihre Art, den Stress direkt wieder loszuwerden. Und das ist aus ihrer Sicht absolut effektiv.

Luzi ist der gesündeste Hund, den ich jemals hatte. Sie ist jetzt neun Jahre alt, und abgesehen von Impfungen und kleinen Pfotenverletzungen hatte ich noch niemals einen Grund, mit ihr zum Tierarzt zu fahren. Körperlich ist sie kerngesund. Geistig – naja, Sie wissen schon … Meine Vermutung ist, dass ihr gutes Immunsystem viel damit zu tun hat, wie sie mit Stress umgeht. Ihr Gezappel und Geschrei wirkt wie ein Blitzableiter, und so kann der Stress ihr nicht schaden.

Dass sie unsere Nerven damit teilweise überstrapaziert, ist natürlich etwas anderes, aber darüber denkt ein Hund ja nicht nach. Das wäre nun wirklich zu viel verlangt.

(Inga Jung, Dezember 2017)